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KAMPALA

Samstag, 06.10.2012

Verkehrschaos, Fluffige Teeplantagen, seine MajestÄt, der Nil
& SuiziDe boda-bodas

Immer noch tief berührt von den intensiven Eindrücken der wandernden Gnus, abzüglich Phili-Maus natürlich, verlassen wir aus finanztechnisch verwurzelten Gründen die wunderschöne Savannen-Landschaft der Masai Mara und machen uns auf den Weg nach Uganda. Visum-Gebühr liegt bei 50 Dollar pro Person, wir lassen das Carnet ausfüllen und löhnen danach nochmal schmerzliche 40 Dollar Straßengebühr, bevor wir die relativ guten Straßen Ugandas befahren.

Vorbei an üppigen Teeplantagen, die starke Mittagssonne brennt auf die eben noch nassen Felder und lässt sie jetzt in glänzendem Grün erstrahlen. Schwarze Frauen mit geflochtenen Bastkörben auf den Rücken beugen sich, pflücken die kleinen Blätter und schmeissen sie in routinierter Bewegung schräg über ihren Kopf nach hinten. Reihe für Reihe arbeiten sich die Figuren vorwärts, wie choreografiert wirkt ihr Zusammenspiel. Der Zustand der Straße ändert sich mit jedem Kilometer, das leichte Dahingleiten wie auf Schlittschuhen ändert sich Stück für Stück. Grauschwarzer Asphalt geht in sattes Rostrot über, Löcher, Steine, Graben erscheinen. Uns brettern LKWs entgegen, hoch, breit, massiv, bunt beklebte Wägen mit balancierender Ware. Der größere Straßenteilnehmer ist im Vorteil, und immer, wirklich immer im Recht! Um Haaresbreite entkommen wir mehreren Unfällen, kassieren aber einige Steinschläge.

Während ich dem langsam nach links oben kriechenden Spalt in der Windschutzscheibe zugucke, erscheinen rechts von uns fließende Hügelketten, aus denen der Morgennebel schon entflohen ist, dichte Wälder reihen sich an fluffige Teeplantagen. Ein Grün, wie frisch gewaschen, gestärkt und danach noch mal weichgespült. Omo-Grün. Farbecht.

Natürlich setzt nach einer kleinen Fahrweile auch wieder der Regen ein. Täglich ein kleines bisschen. Regenzeit eben. Doch mein Auge ist glücklich über all die Üppigkeit. Lange starrten wir ins vornehme grau-braun-ocker der Steppe, sahen schlammige kupferfarbene Flüsse zäh an uns vorbeifließen, genossen die Leichtigkeit einzelner beiger Grasähren im Wind. Ein zauberhaftes Honigbild, zart Ton-in-Ton, voll mandelweisser Leichtigkeit.

Doch jetzt wird wieder ins Fette geknallt: sattes Grün, tiefes Blau, triefender Himmel, dramatische Wolkenmassen, theatralische mitternachtsblaue Berge, majestätisch dahingleitender Nil.

Dicke Regentropfen kullern jetzt vom Himmel, so langsam, dass ich jede einzelne Murmel sehe. In stetem Schwall tropft es aus der königblauen Gewitterwolke hervor. So hinterlassen wir frische Spuren auf der Straße, graben die Reifen in die rote Erde und fahren über das am malerischen Nil gelegene Jinja vorbei an Dörfern, in denen ein jeder unheimlich beschäftigt zu sein scheint, vorbei an spielenden Kindern und Felder umgrabenden Menschen, vorbei an Hunderten von Gemüseständen, vorbei an Tausenden von frischen Ananas, Bananen und Kürbissen, vorbei an dampfenden Bergketten, entlang des Victoria-Sees nach Kampala.

Die geschäftige Stadt platzt aus allen Nähten. Gleich als wir einfahren, werden wir auf einer sechsspurigen Straße zum Stehen gezwungen. Wie ein verstopftes Abflussrohr, wir in der Mitte gefangen. Suizid-gleich schiessen einige Motorradfahrer auf ihren Boda-Bodas an beiden Seiten vorbei, doch für den gemeinen Vier-Rad-Fahrer heisst es warten.

Während ich geradeaus auf den Zeiger der Big Ben-Uhr schaue, der gleichmäßig tickend den langen Minutenzeiger verschiebt, dröhnt es draussen von allen Seiten. Musik, Motorradgeknatter, Auspuffgebrumme, ein Mädchen auf dem Motoradtaxi neben mir beginnt zu singen, von der Seite schiesst ein hagerer Mann mit gelbem Hemd und lackierten Schuhen heran. Schon stellt er sich Publikumsgewöhnt in die Mitte der drei Spuren, die in dem Fall ausgerechnet neben meinem Fenster ihre Zentrierung gefunden zu haben scheint, hält ein in glänzendes Leder gebundenes Buch über den Kopf und predigt drauf los. Bald findet sich ein Taxi-Gast und eine heisse Diskussion entbrennt. Leider verstehe ich kein Wort, die Beiden sprechen Luganda, die Gemüter erhitzen sich. Der Prediger wird pflaumenlila unter den Augen, schwingt die Bibel wie einen Federballschläger vor und zurück, kreischt hemmungslos hysterisch in den überfüllten Taxi-Kleinbus. In den sind Unmengen von Menschen hineingequetscht. Zwischendrin ein heulendes Baby auf dem Schoß, neben Holztruhen, Waschmaschinen, geschlichtetem Heu und einem struppigen Zicklein, das andauernd meckert. Alle Fenster sind geöffnet, die Türen weggeklappt.

Ich zähle und komme auf 14 Personen, plus einer Ziege, zwei Babies, sieben Koffer auf dem Dach, einer Waschmaschine, zwei prallen Basttüten vor der Motorhaube und drei dicke Bananenstauden, die irgendwie an der Stoßstange befestigt sind. Dem Prediger fliegen sogleich fette Wortbrocken um die Ohren, Babygeschrei folgt, ein Mann in mittleren Jahren mit neon-pink bedrucktem Hemd und grauem Bart hat sich eingemischt, die ältere Frau neben sich klammert sich an einer durchsichtigen Plastiktüte voll reifer Tomaten fest. Das Mädchen vorne mit den Glitter-Ohrringen hält sich sichtlich gelangweilt die Hand vor den gähnenden Mund.

Während sich das Spektakel neben mir schnell in ungeheuerliche Bahnen aufschaukelt, kurble ich das Fenster hoch, um einer eventuell ihr Ziel verpassenden Tomate aus dem Weg zu gehen und blättere im Reiseführer.

Als sich der Steh-Stau langsam entknotet, einzelne Autofäden sich entwirren und sich ein kleiner, steter Fahrstrom entwickelt, atme ich auf. Nach etlichen Stunden erreichen wir also die Großstadt Kampala, kaufen frisches Obst und Gemüse auf dem Markt (Papaya € 0,90, Bananen € 0,30, Wassermelone € 1,50, Maracuja 0,10 €, Auberginen 0,30 €, Blumenkohl 0,50 €) schlagen unser City-Lager im Backpackers Hostel (6$/P) auf, entkommen am Unabhängigkeitstag zum Glück dem Bombenattentat auf den König und planen die nächsten Tage.

Lake Bunyoni + SSESE ISLANDS

Donnerstag, 11.10.2012

Ignorierte Empfehlungen

Ssese Islands. - Schon mal was davon gehört? - Also ich nicht. Gerade fahre ich mit dem Zeigefinger auf der Uganda-Karte entlang, gleite über dunkelgrüne Flächen hin zu hellblauem See, reise entgegen des Uhrzeigersinns in einem Halbkreis nach Westen, tippse über Wasser und schon ruht mein Nagel auf einem klitzekleinen Fliegenschiss, der auf der Seite hell ausgespart ist. Ssese Islands steht darunter.

Ich blättere im Lonely Planet auf Seite 504 und bin nach dem Lesen feiner Sätze wie: „While not exactly the Bahamas of Lake Victoria, this lush group of 84 Islands...boast the best beaches in Uganda“ entzückt. Bald erreiche ich das Sleeping&Eating-Kapitel meines Reisführers und bin nun fasziniert Folgendes zu lesen: „The once great Hornbill Camp still operates, but can´t be recommended, until it´s rescued from it´s current owners.“

Dieser simpel hingeschmetterte Camp-Eintrag auf Buggala Island macht mich so neugierig, dass es mir direkt unter den Fingernägeln kribbelt. Da müssen wir hin. Das schauen wir an. „Until it´s rescued from it´s current owners...“. Geile Sache. Was ist da nur vorgefallen? Was is´n mit denen los? Nicht ganz normal, da steh ich ja drauf. Also stellen wir uns schön in die Reihe für die Fähre bei Entebbe, brutzeln eine halbe Stunde in der Warteschlange, ergattern zwei Tickets und den Autoplatz (PKW $ 20/Person $ 4,20), direkt 15 Minuten danach geht’s los. In knappen drei Stunden rattern wir gen Insel und fahren anschließend schnurstraks zum „Hornbill Camp“.

Naja, und seitdem sind wir da. Nun gut, stimmt nicht ganz.

Zwischendrin gab´s schon mal einen Ausflug zum Lake Bunyoni. Wörtlich übersetzt heisst der nämlich: „Platz der vielen kleinen Vögel“ und das fand ich ganz wunderbar. Stahlblauer See, Frühlingsgrüne Terassen, pfauenblaue Berge. Nur der ein oder andere Vogel ist mir dabei jetzt entwischt. Denn es regnete. Also richtig. Ich spreche hier nicht von leichtem, herbstlich feinem Sprühniesel, der die Wiesen dampfen lässt und sein mystisches Weichzeichnerlicht über die Szenerie legt. Nein. Ich spreche hier von alles eingrabenden, grollendem, fettem, unersättlichem Platzregen, der aber die Wolken-Naht nach dem Platzen auch nicht wieder schließt.

Verwundert starre ich in den Himmel, der dicke Tränen weint, nein, eigentlich schießt er sie heraus, hemmungslos quellen die vollen Tropfen herunter, platschen auf der Erde auf, graben kleine Löcher, in deren klitzekleinen Seen runde Kreise erscheinen. Wie der Kaffeetropfen in der Melitta-Werbung. Zeitlupengleich prallen sie ins Wasser, bilden kleine Krönchen, die sofort in sich zusammenfallen. Nach übermenschlicher Beredungskunst eines unfreundlichen Rezeptionisten ergattern wir dann doch noch einen Unterstand auf dem Campingplatz, wir dürfen eine unbewohnte Holzhütte mit schöner Eukalyptus-Dielen-Terasse nutzen. Im Prasselregen parken wir den Toyota direkt davor und huschen geduckt unter das schützende grasbedeckte Wellblechdach.

Gemütlich kuscheln wir uns in die Stühle, holen Fleece-Decken aus dem Auto, halten eine dampfende Tasse Tee in der Hand, sehen den ein oder anderen mutigen buntbefiederten Vogel, hören das dumpfe Geräusch der niederhagelnden Regentropfen auf dem Grasdach und blicken schweigsam auf den kapriziös in mehreren gedämpften Blautönen darliegenden See.

Weil uns aber nach drei Tagen Regen das ständig vom Himmel fallende Wasser doch wieder auf die Nerven geht, entscheiden wir uns spontan dafür, zurück zu den Ssese Islands zu fahren.

Das scheint jetzt verwunderlich, doch das auch nur, weil ich bisher vergessen hatte zu erwähnen, wie sehr wir uns in den See, die Insel, den Strand, den Lizard, die Vervet-Monkeys und die Leute vom Hornbill-Camp verknallt haben, obwohl, oder auch gerade weil sie den Mega-Knall haben. Und das ging so...

HORNBILL CAMP TAG 1

immer noch Donnerstag, 11.10.2012

Der erste Kontakt

Nach knappen drei Stunden entkommen wir also der pappvollen Fähre von Entebbe nach Buggala Island. Für 14.000 Ugandan Schilling, also 4,20 hat Schatzi mich auf Luxus-Komfort gebucht, die kostet nämlich stolze 90 Cent mehr als die Holzklasse, dafür sitze ich dann auch statt auf blanken Holzdielen des letzten Jahrhunderts auf einer mittelmäßig gepolsterten Bank mit direktem Blick auf den überdimensionalen Flatscreen. Georg muss im Auto sitzen bleiben. Yup, die gesamten drei Stunden. Trotz satten 30 Grad.

So sitze ich allein, allerdings mit 150 anderen Menschen in der Kajüte. Von denen jedoch 140 in der dritten Klasse brüten. Wenn auch die Fähre uralt ist, der Fernseher ist brandneu und dudelt einen grotesken Mix aus brüllend lauten MTV-Musik-Clips mit Jay-Z-Verschnitten, die auf Luxus-Yachten mit auftoupierten Bunnies herumhoppen und abwechselnd ein vergoldetes Mikrophon und den String-Tanga ihrer Go-Go´s in der Hand halten.

Der Victoria-See gibt sich bescheiden ruhig wie eine Spiegelplatte und so kommen wir fahrplangerecht, allerdings hörgeschädigt auf der Insel an. Nach minimalen dreieinhalb Fahrminuten auf Buggala entdecken wir auch schon das kleine gelb-grüne Schild mit dem netten Vogel und seiner Überbeinnase drauf: „Hornbill Camp“.

Wir biegen ab, fahren ein und werden sofort von einer ultraschwarzen Frau mit perlweissem Lächeln unter raspelkurzen Haaren in neonpinken Leggins begrüßt, die uns zur Rezeption führt. Das ist jetzt natürlich übertrieben, denn Rezeption heisst gleich Haus, gleich Hüttchen der Eigentümer. Unten Stein, oben Holz, drüber Wellblech, davor gemütliche Veranda mit Tisch und Stühlen, innen Wohnzimmer, davon mit Tuchvorhang ein abgetrenntes Zimmer.

Etwas vergrummelt kommt uns eine brünette Frau im grünen Sarong mit Wallehaar und Brille in ihren späten Vierzigern entgegen, die sich mit „Ja, Hallo, ich bin die Tine“ vorstellt und uns mit leicht müdem Grinsen begrüßt, während sie die Gegebenheiten erklärt: „Das Löwenhaus hier ist die Luxus-Banda, Afrika-Gesicht ist ein Einzel, die Villa Kunterbunt ist die Küche und Pink Floyd ist der Dorm, ach so, ja dort am Jimi Hendrix könnt ihr euch waschen, dahinter gibt’s die Toiletten. Öko, ne! Also, ihr müsst da halt dann Asche nachkippen. Steht aber alles dort. Duschen sind kalt, aber so ist das eben. Wenn es sein muss, kann euch der Ronald im Solar-Ofen Wasser warm machen. Dann gibt’s halt nen Eimer dazu. - So, dann sucht euch ma nen Platz! Camping is 5 Dollar, ne!“.

Der alternative Garten gefällt, direkt am Ufer zwischen Dschungel und See ist eine smarte Lichtung freigeschlagen, um die sieben kreativ und bunt bemalte Holzhütten stehen da schön verteilt und wir suchen uns einen schmucken Platz zum Campen mit direktem Blick auf den Lake Victoria. Keiner da, ausser uns. Schöne Sache. Wir gönnen uns erstmal ein G-Nut-Dinner mit Gemüse und Mashed Potatoes im offenen, etwas windschiefen Restaurant. Keine Ahnung, was das sein soll, kurz überlege ich schon, ob es etwas mit G-Punkt zu tun hat, aber nach so ungefähr dreieinhalb Stunden Wartezeit hat sich das Food-Rätsel auch schnell gelöst: G-Nut ist gleich Ground-Nut ist gleich Peanut ist gleich Erdnuss. Alles klar. Essen schmeckt, und wenn man erstmal weiss, dass man plus minus vier Stunden bis zum Gaumenschmaus einrechnen muss, ist auch das paletti.

Nach dem Essen lernen wir Digger kennen. Grauer Wuschel-Voku-Hila, braune Kulleraugen, enge Rocker-Jeans unter kariertem Hemd. Kippe und Bier in beiden Händen. Wird aber schnell auf eine Hand umgeswitcht, um uns ein cool winkendes Hallo zu gestikulieren. „Was macht´n ihr jetzt da? Gäste oder was. Fuck off!“, schreit er herüber und winkt uns doch zu sich. Da springt mir wieder die Beschreibung vom Lonely Planet vors geistige Auge und ich will jetzt alles, wirklich alles mal auf mich wirken lassen. Mal sehen, wo das noch hinführt hier. Fängt jedenfalls schon mal ziemlich interessant an.

Digger ist Tines Mann und Eigentümer des Camps. Ja, eigentlich war er auch der erste Weisse auf der Insel. Und das schon seit sagenhaften 18 Jahren. „Ja, damals, ne, das könnt ihr euch jetzt gar nicht mehr vorstellen, ne, da war das alles“, erzählt er, während wir uns nähern, „da war das alles hier noch Dschungel!“ und Digger macht eine ausholende Bewegung mit beiden Armen „uns gehört ja auch das Nebengrundstück, aber hoppladihop, kaum hat man mal kurz nicht aufgepasst, kommt der Nachbar, reisst sich alles unter den Nagel, fällt Bäume, Büsche, Palmen, futsch, weg, alles, und nu, nu schau dir das mal an. Nichts. Nichts ist davon mehr übrig“ . Und Digger fällt in trauriges Schweigen. Wir auch. „Jaaa“, schaltete sich Tine ein „egal jetzt, echt, ey“ und ploppt ein Bier.

„Übermorgen hat mein Alter Geburtstag!“, und schiebt ein heiseres rauchiges HaHa hinterher, „Fuffzisch! Der Alde wird fuffzisch, ey! Kann ich gar noch nich glauben. Ne, Digger“ und grinst zum zerknitterten Ehemann hinüber. „Da nehm ich mir jetzt schon seit Wochen vor, dich zu überraschen! Da fahr ich morgen rübber nach Masaka und kauf dir Krabben. Wie bei dir daheim, ey!“ und grinst Digger an „die mag er nämlich so gern! Der kommt ja aus´m Norden. Da hamm die immer Krabben gegessen! Und die koch ich ihm dann zum Geburtstag. Muss ich nur morgen die Fähre erwischen. Mann, die fährt ja schon um Acht! Aber echt ey, das mach ich. Für dich. Digger. Für dich!“, schließt mit dem Vortrag und zündet sich eine Zigarette an, sofort gefolgt vom Zischen des Biers. Eine dralle Katze springt auf ihren Schoss und gurrt hingebungsvoll. „Oh, dieee da“, lästert Tine „die is schwanger!“, streichelt ihr dreimal über den Kopf und schiebt sie dann auf den Boden „Aber jetzt hab ich echt keine Lust auf dich“.

Hinter mir wuselt es und ein klitzekleiner schwarzer Mann um die fünfzig mit prallen Armmuskeln und straffen Waden schleicht sich mitsamt grünem Rechen an.

„Das ist der Waswa. Der arbeitet schon seit 15 Jahren bei uns, ne, der Waswa!“, meint Digger und nickt hin zu ihm „meine Mutter die sagt ja immer Waswo zu ihm. - Aber jetzt mal was anderes, ne“, spricht er da, während er einen tiefen Zug an der Zigarette nimmt und Waswa den Garten trimmt. Gerade als ich denke, jetzt geht die Kippe in Flammen auf, atmet er wieder aus, bläst den dicken grauen Rauch Richtung Tine und reisst die rötlichen Augen auf: „Wie is´n das so mit euch?“. Stille erfüllt die Freilichtbühne. Ein Hahn kräht, drei Vögel singen im Akkord und ein Gecko scheisst auf Tines Schulter.

„Was meinst´n jetzt?“, frägt Georg da, und nimmt einen kräftigen Schluck aus der Nile-Special-Flasche, die Tine angebracht hat. „Na, meinst du, ihr könnt sowas hier...“, Digger steht auf, geht drei Schritte und zieht ein khakifarbenes Einmann-Zelt hervor „...wieder zusammenbauen?“.

Unser Blick fällt auf das runde Wurfzelt, das nigelnagelneu, kompakt und einladend aussieht. „Is blöd jetzt“, fährt Digger fort, „weil wir haben das gestern einem Typen hier abgekauft, der wollte das nicht mehr. Und jetzt wissen wir auch wieso“, heiseres Lachen von Tine unterbricht den Vortrag und mündet in unkontrolliertem Röcheln mit tinitusgefährdenden Zwischenhöhen. Digger stimmt ein und gibt zu: „Wir kriegen das nicht mehr zusammen. Echt jetzt. Hat schon jeder probiert hier. Der Waswa, die Rose, die Janet, der Ronaldi, ich, die Tine“.

Georg steht auf und begibt sich Richtung Zelt. Beugt sich herab, denkt.

Da kommen auch schon die anderen an. Die mitternachtsschwarze Rose mit den Raspelhaaren und der Rosaleggins kennen wir ja schon, doch auch die leicht mopsige Köchin Janet stellt sich nun mit breitem Lächeln vor, und auch den hochgeschossenen 20-jährigen Ronald, das Mädchen für alles, treibt die Neugier.

Zu siebt stehen wir nun um Georg herum, der das Zelt artistisch faltet, auf die Hälfte bringt, die Stangen verbiegt und schon fast sieht es so aus, als könnte es in die passende Tasche passen, doch leider muss es noch halbiert werden. Aus Angst, die Stangen zu zerstören, bricht Georg ab, und die Menge ist enttäuscht. Mittlerweile ist es stockdunkel geworden und wir verschieben die Aktion auf morgen.

Wir sagen erstmal Gute Nacht, entschwinden ins Auto, wundern uns nur ganz kurz und hören dem Prasseln des gerade einsetzenden Regens auf unserem Alkofen zu.

HORNBILL CAMP TAG 2

Freitag, 12.10.2012

Digger´s Geburtstag

Um halb elf Uhr morgens schlurfe ich Richtung Duschen, bevor mir einfällt, dass es die ja nur in kalt gibt. Kurz bevor ich meinen Kurs ändere sehe ich Tine im orangen Streifenkanga. Wollte die nicht die 8.00-Uhr-Fähre nach Masaka nehmen? Krabben und so?

Ich stakse auf sie zu und hake nach. „Ach nee, mach ich dann morgen!“, entgegnet sie „Aber da ist doch schon Diggers Geburtstag“, entfleucht meinen Lippen. „Ja, trotzdem“, erwidert sie „Die Krabben die soll er schon kriegen!“. Tine zündet sich eine Kippe an und zischt ein warmes Vormittags-Bier, „Morgen is auch noch n Tag, hab ich jetzt echt keine Lust zu“. Da kommt die geschwängerte Katze zu uns geschlichen, maunzt mitleidig und leckt sich über die Pfoten. Ich nehme sie hoch und taste nach ihrem Bauch.

„Hey, jetzt setz dich doch mal“, spricht Tine, „ihr scheint mir ja ganz cool zu sein, so. Ich mein, mit dem Auto hierher! Find ich echt geil. Wisst ihr, was wir hier für Leute kriegen. Alter Schwede, dicke Socke, ich sag euch, unglaublich. Die zicken dann noch so rum hier, mit dem Klo und den kalten Duschen und was-weiss-ich-noch-alles. Nee, brauchen wir nich. Echt nich. Soll´n se doch bleiben, wo se wollen. Fuck off! Echt jetzt!“.

Georg erscheint verstruppelt aus dem Auto, ich winke ihm und wir nehmen beide Platz im Open-Air-Kino. Wie von Geisterhand erscheint da auch das Wurfzelt zusammen mit dem verstruppelten Digger. Ein neuer Gast fährt ein, stellt sich vor und darf sich erstmal am Wurfzelt probieren. „Nee, nee“, scherzt Digger in englisch „du darfst nicht bleiben, wenn du das hier nicht schaffst. Is´n Intelligenztest. Blöde woll´n wir nich hier“. Der Gast guckt jetzt auch wirklich doof, versteht den Scherz nicht ganz. Also ich hoffe, es war ein Scherz. Gast probiert weiterhin. Digger lacht. „Nee, der ist auch zu doof, Alter!“. Gast fällt der Kiefer runter, schluckt und scheint kurz vor dem Heulkrampf. Klappt nicht. Wieder und wieder versucht er es. Ist ja auch zu blöd. Dabei auch noch so verarscht zu werden, während sieben Leute zugucken und die Hände in den Hosentaschen stecken haben. „Ne, hör auf jetz! Du machst es ja nur noch kaputt. Ey, so wie du aussiehst, schaffst das ja eh nicht“. Ich muss ein Lachen unterdrücken und verschlucke mich dabei. Jetzt ist es definitiv Zeit für den ersten Wein, so eine Show gibt’s ja nicht täglich. Obwohl, hier schon. Doch dazu später mehr.

Schatzi hat einen Geistesblitz, holt den Laptop, steckt das Stick-Modem ein und googelt „Abbau Wurfzelt“. Sofort erscheinen um die 200 Videos auf YouTube, mit den geilsten Ideen, Verzweiflungstaten, Falttechniken, Ausrastern bis hin zum Abfackeln des Zelts.

Der Gast hat sich gekränkt in seine Hütte verkrümelt und jetzt ist Georg dran. Nach fünfzehn Minuten und Höllenspass meinerseits ist das Zelt zum kleinen Handtuch geschrumpelt und passt jetzt auch in die passende Tasche. Hipp hipp Hurra!

Georg kriegt ein Freibier und alle sind happy. Mein Glas Wein ist schon leer, so hole ich mir ein warmes Bier an der Hausbar. Ja, leider, das gehört nun auch zum Öko-Label: kein Strom. Kein Kühlschrank. Kein Kaltgetränk.

Waswa kümmert sich um den Rasen, Janet macht sich auf Richtung Küche, ein wild krähender Hahn folgt ihr auf dem Schritt, Ronald legt sich schlafen. Der ist nämlich auch Security. Und nach drei kompletten Nachtwachen scheint er jetzt auch wirklich schlafbedürftig. Seine tiefen Ringe unter den Augen jedenfalls sprechen eine eigene Sprache. Der molligen Janet folgt auf dem Fuss der Gockel. „Rooster!“, meint Digger da. Ich gucke ihn verdutzt an. Was meint er jetzt. „Na, Rooster! Der Hahn! Der liebt Janeti. Guck ma!“. Und tatsächlich, der Gockel folgt der Köchin auf dem Fuss. Unschuldig. Wenn der mal wüsste. Und kräht dabei wie blöde. „Rooster!“, kommt dabei aus sechs Mündern gleichzeitig geschossen „Fuck off!“.

Janet lacht, Rooster kräht und Waswa ordnet Grashalme. „Ja, der Rooser, der hat´s nötig. Die Susan, sein Huhn, die sitzt auf den Eiern. Das wird noch dauern“, ergänz Tine da, während sie einen Schluck vom lauwarmen Bier nimmt „die brütet schon zwei Wochen jetzt. Im Pizza-Ofen. Ja, klar! Drum geht der auch ab wie Harry. Jetz is er wohl in die Janeti verknallt. - Naja, so lange, bis sie ihm den Hals umdreht“ und lacht sich heiser halbtot.

Ich verschlucke mich erneut, Tine überlegt laut, ein neues Huhn zu kaufen, da erscheint der gekränkte Gast von gestern. Guter Laune gesellt er sich zu uns „Habt ihr´s geschafft?“, frägt er unbedarft in die Runde. „Ja, klar, Mann, was denkst du denn?! Bist ja nur du zu blöd gewesen!“. Ich verschlucke mich zum dritten Mal und versuche, die Bierspritzer von meiner Hose zu entfernen. Ich tausche einen Blick mit Georg, der das Gesicht zum Grinsen verzieht und verzweifelt wegguckt. Jetzt bloss nicht Lachen. Der arme Typ da!

Der macht sich auch schon wieder vom Acker, packt seine Taschen und verlässt kurz darauf den Campground.

„Was hat der denn jetzt wieder gehabt? Wieso is´n der jetzt weg.“, frägt uns eine verblüffte Tine. - „Ja, also“, setze ich an, entscheide mich dann aber doch dafür, lieber die Klappe zu halten und einen Schluck Bier zu nehmen. „Was ist denn jetzt mit deinem Geburtstag morgen“, frage ich stattdessen. „Was soll´n damit sein?“, ist Diggers Gegenfrage. „Ach, nur so“, sage ich da und Tine springt ein „Ja, ich mach halt die Krabben. Aber nicht für euch, ne. Damit das also mal klar ist. Nicht, dass ihr denkt, ihr seid da eingeladen oder so.“

Jetzt kann ich mein Grinsen doch nicht mehr unter Kontrolle halten und pruste aufgrund soviel fehlender Diplomatie fast drauf los. „Na, ich fahr halt dann morgen nach Scheiss-Masaka. Mann, so ne Kacke jetzt aber auch. Bin ich ja sechs Stunden unterwegs. Wird hart. Echt. Aber was tu ich nicht alles für den da! Ne, Digger! 24 Jahre! 24 Jahre bin ich jetzt schon mit dem Alten zusammen! Also ich war schon mal ein Jahr weg. Das letzte. Aber dann bin ich halt wieder zurück gekommen. Und dann ist der Hund gestorben. Chaka Zulu! Mein Chaka Zulu! Der beste Hund! So ´ne Riesendogge! Gentle Giant! Echt jetzt, der war echt gentle! Immer sanft. Ausser einer hat uns genervt, ne. Dann ging der ab! Da hat uns keiner mehr gestört hier! Mein Chaka!“ - „Jaaaahaa! Is ja gut jetzt“, unterbricht Digger da „jetzt heul halt rum wegen dem Köter da!“. „Mann, wie kannst du nur so sein!“, schluchzt Tine „der ist doch erst sechs Wochen tot. Du bist echt das Allerletzte!“. Und Digger blödelt hinterher, während Tine aufsteht und Richtung Ufer verschwindet.

„Ja, der war schon toll, der Chaka!“, gibt Digger da zu. Auch er hat jetzt einen Kloss im Hals. Kaum ist Tine weg, präsentiert er uns Fotos, Stories und Erinnerungen an den Hund. Der ist einfach zu cool, der Digger. Kann er nicht zugeben, dass er dem Hund hinterhertrauert. „Tine!“, schreit er da seiner Frau hinterher „Jetzt komm halt zurück!“. Tine hebt nur den Fuck-Finger, ohne sich umzudrehen und läuft weiter.

Wir stoßen mit einem Bier an. „Prost!“, raunt Digger „Schön, dass ihr da seid“. Da braut sich oben am Himmel auch schon wieder was zusammen, und wir flüchten ins Restaurant. Nach dem großen Prasseln, einem himmlischen Chapati und zwei falsch singenden Vögeln stelle ich fest, dass mein Buch immer noch draussen liegt. Das hat jetzt das doppelte an Gewicht zugenommen und tropft aus allen Nähten. Nach ein paar Stunden lesen, einem Strandspaziergang, vier Hornbill-Sichtungen und zweimal Fremd-Hunde-Streicheln sehe ich Digger, der mir zuwinkt.

„Kommt doch mal her! Ich will euch wen vorstellen!“.

Kaum gesagt, sitzen wir schon wieder in der Runde vor der Hütte und lernen Daniel und Solveig kennen. Er um Ende Fünfzig, nachlassender braun gefärbter Haaransatz, gutmütige Augen unter kleinen Schlupflidern, dünne Lippen; sie junge Fünfundzwanzig, nordisch blond, metallumrahmte Brille über hellblauen Augen, zarter Teint und symphatisch-schüchternes Lächeln. Etwas bedödelt sitzen die beiden allerdings da, schweigsam und nachdenklich und bald wird auch klar, warum.

„Denen haben die grad das Auto aufgebrochen!“, raunt Digger. In Entebbe. Am Supermarkt! Schon sprudelt es aus Daniel hervor. Seit zwei Jahren wohnt das Pärchen hier auf der Insel, sie bezeichnen sich als Abgesandte einer „besonderen Kirche“, nehmen übrigens sehr gerne neue Mitglieder auf, dabei wäre auch völlig egal, was man glaubt, man würde keine vorherige Glaubensrichtung verstoßen. Ich werde skeptisch - aber egal, solange mich keiner bekehren will und ich mein Geld für mich ausgeben kann - zurück, zur Geschichte. Folgende Story: die beiden waren einkaufen, als sie auf den bewachten Parkplatz zurückkamen, war das Auto leer. Da hatte einer einen Ersatzschlüssel. Die Krux an der Sache ist nur die, dass Daniel ein „Preacherman“ ist, wie er sagt, und alle Spenden seiner Kirche im Auto hatte. Genau wie alle Ausweise, Quittungen, Computer. Alles!

Daniel schluckt, greift sich verzweifelt in die Resthaare und ist am Boden zerstört. Er steht auf und will sich an der Bar ein warmes Bier holen. Doch heute ist einfach ein Scheiss-Tag für Daniel. Selbst das warme Bier ist aus. Der arme Prediger (oder doch Sektenführer?) schluckt, senkt den Kopf und setzt sich wieder.

Er tut uns jetzt so leid, dass Georg zum Auto geht, den Rum rausholt und ihm hinhält mit den auch schon etwas angetrunkenen Worten: „Daniel! I don´t know you. But I feel with you. We don´t have too much, but we still have a sip of rum. So, sip it, enjoy and relax!“ Daniel guckt ihn aus Rehaugen an, nickt knapp, setzt die Flasche an und trinkt sie mit einem Zug aus. Solveig starrt Georg an, danach den Ehemann, sagt aber nichts.

Zehn Minuten später unterhält der Preacherman die ganze Runde, kichert, lacht, hält Solveig die Autoschlüssel hin und lässt uns mit einem Fragezeichen auf der Stirn zurück. Auch wir machen uns nun auf Richtung Bett, der Regen setzt wieder ein.

HORNBILL CAMP TAG 3

Samstag, 13.10.2012

Pauli, Schlangen
& SchrÄge Nachbarn

Nach dem Frühstück sitze ich gemütlich vor dem Auto, schmökere in Dian Fossey´s „Gorillas in the mist“, trinke am lauwarmen Kaffee und genieße das Leben. Da schlendert Tine vorbei. „Hey!“, rufe ich zu ihr rüber „wolltest du nicht nach Masaka?“.

Sie nickt mir kurz zu, kommt herüber und meint „Ja, schon, is ja Digger´s Geburtstag heute. Aber der freut sich ja eh mehr, wenn ich den mit ihm verbring! Also bin ich jetz da geblieben. Aber die Mädels bringen mit Wiener Würstchen mit. Da mach ich ihm dann Würstchen im Schlafrock. Da steht er doch auch drauf!“.

Weil mir Digger jetzt irgendwie leid tut, krame ich nach dem Puddingpulver und gehe mit verhuzelter, schon zweifach eingeschmolzener Geburtstagskerze auf dem Vanille-Teller hinüber. Nach einem gemeinsamen Ständchen mit der Belegschaft ist Digger zu Tränen gerührt, lädt uns auf ein Bier ein und der neue Tag kann beginnen. So feiern wir von früh bis spät, bis neue Gäste kommen. Colonel Kaka ist da, ein hohes Tier bei der Insel-Polizei, Janet und Rose geben ein schiefes Ständchen zum besten, der Hahn kräht dreimal hintereinander und nach weiteren zwei Gläsern Rum werden fünf junge Mädels per Matatu (Taxi) gebracht und stehen nun etwas schüchtern vor uns Trinkenden. „Mann! Was wolln die denn jetze!“, schreit Digger. „Camping?“, frägt die Mutigste von ihnen unter blondem Fransenpony.

Erst herrscht Totenstille, so lange, dass ich schon fast überlege, jetzt den Job zu übernehmen, dann antwortet Tine. „Yes. Right. What do you want?“, schiesst ihr Mund scharfzüngig hervor „Dorm? Luxury-Banda or Camping, hä!?“. Die Mädels gucken sich an und antworten wie aus einem Mund „Dorm“, bevor sie den Blick gemeinschaftlich schüchtern zu Boden richten. Mit kurzem Blick deutet Tine auf die Hütten, die Mädels machen sich vom Acker, wir feiern weiter.

Ein riesiger Lizard erscheint, röchelt beeindruckend in unsere Richtung und galloppiert dann Richtung Dschungel. „Das ist Pauli! Unser Nile Monitor! - Früher, ne“, setzt Digger an „da hatten wir Schlangen! Schlangen und Tiere überall! Das war bevor dem!“ und der Kopf nickt Richtung Nachbarn. Ist ein leidiges Thema. Wird aber sofort hinuntergespült und wir feiern weiter.

Der Mittag, Nachmittag und Abend ist klasse, irgendwie sind die beiden so schräg, dass sie schon wieder gut sind.

HORNBILL CAMP TAG 4

Sonntag, 14.10.2012

Rose, Eier & Baby-Vervets

Ich sitze wieder an meinem Leseplatz, hinter mir die bunt bemalte Afrika-Hütte, links der halb abgemähte Dschungel, oder was noch davon übrig ist, geradeaus der stahlblaue See, davor der hellweisse Sand, auf der Wiese der Lagerfeuerplatz, wo Georg gerade ein Feuer schürt. Eine leichte Brise weht vom Victoria-See herüber, ich blicke geradeaus auf zwei exakt symmetrische kräftige kleinwüchsige Dattelpalmen, die sich genau auf die Linie zwischen Sand und Gras gepflanzt haben.

Uuuuh, uuhhh, uhhh. Ich drehe den Kopf, da knistern die Büsche, hüpfen die Äste, rascheln die Blätter. Eine Bande Vervet-Monkeys kommt angesprungen, neckisch traben sie über den Platz, mutig tummeln sie sich vor meinen Füssen. Nur eine ist scheu, springt Richtung leeres Restaurant und gleich sehe ich auch, warum. Ein klitzekleines, vielleicht zwei Tage altes Baby mit noch hellem Gesicht kauert an ihrem felligen Bauch. Noch zu klein, um sich selbständig festzuhalten. Mami legt den Arm um die kleine Maus und läuft dreibeinig zur Restfamilie. Irgendwas scheint an seinem Schwanz nicht zu stimmen, er ist verkrüppelt und kurz. Nacheinander leckt jedes einzelne Familienmitglied daran, versucht, den Schaden zu beheben, zeigt sein Mitgefühl, drückt den Kleinen und danach die Mama.

Über eine Stunde spielen sie vor meinen Augen, dann schiessen sie wie der Pfeil Richtung Küche. Rooster überschlägt sich im Ton, die namenlose Katze rastet aus und plustert ihr Fell, Pauli guckt offenen Mundes hinterher und Janet klatscht in die Hände. Kurz darauf lässt Rose ein helles Fluchen vernehmen und ich sehe drei Affen vollbepackt mit Eiern! Auf zwei Beinen müssen sie laufen, in den beiden Händen jeweils ein Ei, die Augen aufgerissen, dem Mund entkommt ein hämisch-gieriges Uhuhuh!

Ich krieg mich nicht mehr ein. Und ab in den Baum. Direkt über mir. Platsch, schon kommt die leere Ei-Hülle herabgeflogen, ein glücklicher Vervet-Monkey grinst mich an und zeigt die Zähne!

HORNBILL CAMP TAG 5

Montag, 15.10.2012

NIx da Home-Made - oder
Verdammt, wo ist der Hexenmeister, wenn man ihn mal braucht?

Georg erwacht mit roten Pusteln über Bauch, Arm und Handgelenk. Digger ruft Waswa. Der lässt auf der Stelle seinen grasgrünen Rechen fallen, räuspert sich und kommt angewatschelt.

Er beäugt das Problem, befeuchtet mit der rosa Zunge seine dunklen Lippen und erklärt fachmännisch: „Yes, I know.“ Scheint ein giftiges Insekt zu sein, das sich im Busch rumtreibt. Kennt er, hat er schon gesehen, hat jeder im Dorf mal. Diesen Ausschlag eben. „No problem“, grinst Waswa „I go into village, buy some medicine“.

Geil, denken wir, Waswa kennt sich aus. Er wuselt davon, Geld in der Einen, den Rechen in der anderen Hand. Im Marschschritt macht er sich auf den Weg, pfeffert die Gartenspachtel an die Ecke der „Villa Kunterbunt“ und entschwindet unseren Augen. „Jahaaa“, meint Digger da unter der schwarzgerahmten Brille „Der Waswa, der weiss, was er tut. Ne, nee, der kannte das. Pass mal auf, was der jetzt zurück bringt. Der weiss alles, du! Und kennt jeden, ne!“.

In der festen Annahme, er kommt zurück mit einer selbstgemachten, stinkenden Paste aus Schlangenleberextrakt, Knochensplittern und höchst geheimen Dschungelkräutern halte ich vor Anspannung die Wartezeit fast nicht aus.

Georg zieht immer wieder sein T-Shirt über den Bauch und die kleinen roten Punkte scheinen irgendwie zu tanzen, sich zu multiplizieren. „Ich halt das nicht mehr aus! Weisst du wie das juckt?“. „Ja...“, entgegne ich „kann ich mir schon vorstellen. War ja auch mit den Sandflies gestraft...damals in Belize...weisst du noch...?“.

Das kann Schatzi jetzt gleich gar nicht hören und kratzt sich am Bauch. „Hör auf! Mensch, das entzündet sich nur...nimm doch gleich mal eine Antihystamin-Tablette, das sieht mir aus wie ne allergische Reaktion. Und pack doch die Aloe-Creme drauf.“. Ja, wie es immer ist, natürlich ist gerade jetzt die Hydro-Cortison-Creme ausgegangen. Gerade, als meine Nase im Medikamenten-Koffer verschwindet, trabt Waswa wieder an. Der kleine, drahtig-muskulöse Mann scheint unter seiner mitternachtsschwarzen Haut komplett aus Muskeln zu bestehen. Zackig geht er auf uns zu, die dicken Lippen verziehen sich freudig zu einem breiten Lächeln, die weissen Zahnreihen blenden mich. Da schwenkt er ein kleines braunes Tütchen in der Hand.

Georg wickelt es auf, mich zerreisst es fast vor Neugierde. Er greift hinein und bringt einen kleinen etwa drei mal drei Zentimeter großen, knallgelben, viereckigen Karton zum Vorschein. „Wie jetzt?“, frage ich enttäuscht, eine bedruckte Box? Aus der Apotheke? Nicht vom Zaubermeister?“.

Waswa lächelt uns an, versteht die Aufregung nicht. „Good! Good! Put on skin!- Everybody in the village with this“ und deutet auf Georgs enthüllten rot-weissen Bauch „takes it. Rub it on!“.

Ich muss kichern, Georg dreht die gelbe Box hin und her, Digger kann sich nicht mehr halten und platzt heraus: „Neee...echt jetzt? So´n Scheiss!“. Ich entreisse Schatzi die wichtige Medizin und lese: „Pain Balm“ in dicken schwarzen Lettern, während mich ein indischer Mann in seinen besten Jahren und mit liebevoll gezüchtigtem Schnauzbart angrinst. Die Hände befreiend in die Höhe gerissen, scheint der das Glück in Person zu sein. Langsam drehe ich die gelbe Box in meiner Hand und lese an der Seite: Bayersdorf, Rub it on! Against every pain.“ Darunter sind drei liebevoll gemalte Strichzeichnungen mit den dunkelrot untermalten Hotspots des Leidens: eine gelbe Stirn, auf der mittig ein weichgezeichneter Rotpunkt die Schmerzstelle anprangert, links daneben ein roter Rückenpunkt, das Nachbarbild zeigt den entzündeten roten Rachen. Dick darunter: For EVERYTHING!

Mit spitzen Fingern öffne ich die Box und entdecke ein klitzekleines, rundes Cremeglas mit heller Füllung. Erst halte ich es in die Höhe, aber darauf gibt’s keinen Text zu lesen, so schraube ich den Deckel herunter und schnuppere am Inhalt. Georg schaut mich skeptisch an, Diggers Augen ruhen auf mir, ich pruste los: „Das ist Wick Vapo Rub! Der gute alte Erkältungsbalsam! Nur auf indisch!“. Wir alle lachen uns schlapp, Georg verzichtet auf das Eincremen und macht sich auf die Suche nach den Antihystaminen...

HORNBILL CAMP TAG 6

Dienstag, 16.10.2012

Rooster und Lizards im Stroboskop

Eine grollende Lärmkaskade weckt mich. Dicker, prasselnder Regen klopft an das Auto. Das Geräusch schwillt an, macht sich auf den Weg zu uns. Ich öffne das Rollo und luge hinaus. Die Luft ist flüssig, tropfende Bäume, sich darunter beugende Äste.

Das bleiche Mondlicht ergießt sich über den flachen Platz in der Mitte. Die sonst so unerschütterliche Erde scheint zu zittern, als ein durchdringendes Grollen über uns ertönt. Ein paar Sekunden später schiessen helle Blitze durch die nasse Luft.

Im Stroboskop-Licht zittern Bäume, Hütten und Hängematten und erscheinen mir wie die schräge Dschungel-Dekoration einer Discothek. Stickige Luft hier im Club. Ich öffne ein Fenster, sofort schlägt mir eine kühle, feuchte Wand entgegen. Einzelne Wassertropfen berühren meine Wange, ich wische sie weg und bleibe fasziniert vom Weltuntergang draussen. Im Dämmerlicht ergeht eine weitere Lärmkaskade über uns. Die Luft ist erfüllt mit Elektrizität, ein erneuter Blitz, die Lichter der nächtlichen Scheinwerferlampen fliessen wie schimmernde Lichtströme herunter, um platschend im nassen Gras zu landen.

In dicken Tropfen prasselt der Regen herab. Immer mehr, immer undurchdringbarer. Fette, volle, durchsichtige Murmeln, die am Fenster oben links aufplatzen, sich vereinigen und als verzerrte Einheit gleichmäßig abrutschen. Rinnende, länglich gezogene Baumstämme, dünne Fäden von Palmen, zitternde Blätter, die erst verschwommen aufquellen und mit einem weiteren Schwall verzerrt am Plastikglas nach unten wabern. Vor der Queen Banda entsteht ein kleiner Fluss, ein steter Wasserstrom fließt schnell und anschwellend als braune Masse mit flirrender Oberfläche hinunter zum See;

Anabelle, das neue Huhn und Rooster, ihr zweiter Mann fliehen vor dem neuen Wasseransturm mit vorangerecktem Hals und weit gespreiztem Schnabel, wobei das hellbraune Federfieh erbärmlich durchtränkt an ihr herunterhängt, währenddessen es von Roosters dunkelrotem gummiartig vor-undzurückschnellendem Hahnenkamm hin zum Doppelkinn tropft. Natürlich muss der Hahn jetzt vor Aufregung mal wieder ohrenbetäubend laut krähen und bespringt kurz Anabelle, arme brütende Susan, bevor er unter die Holzveranda des Dining schlüpft, das Huhn flieht in den Busch.

Ein schreckliches Krächzen, gefolgt von schnellem Rascheln im Unterholz und ein ungewöhnlicher Stakkato-Gurr-Kräh-Ton lässt mich die bequeme Position im trockenen Bett aufgeben, ich drehe mich nach links hinten und traue meinen Augen kaum: in aufrechter, gebieterischer Form steht da Pauli! Fies faucht er die arme Anabelle an, die völlig aus dem Häuschen ist und auch gleich nach Rooster quäkt. Der kommt sofort angeschossen, da entdeckt er den Lizard, der ein drachenartiges Fauchen ausstößt, dabei seine gelben spitzen Zähne entblösst. Hellgrau steht er nun vor den Beiden, grüne Sprenkel am Reptilienkörper, wache Augen, ein bisschen zu viel Haut am Kopf, die in kleinen Stacheln aufsteht.

Anabelle und Rooster laufen um ihr Leben, Georg teilt mit, die Pusteln sind weg und ich drehe mich wieder um.

HORNBILL CAMP TAG 7

Mittwoch, 17.10.2012

Anarchisten, PAzifisten
und der PReacherman

„Euch ist schon klar, dass wir euch jetzt umbringen müssen!?“. Der trockene Satz hängt in der Luft. Digger guckt uns an. „Naja, ich mein, ihr habt ja da so ein geiles Auto. Das wollten wir auch schon immer mal!“. Zum Glück kennen wir ja jetzt schon den trockenen Humor der beiden. Oder?

Kurz rasselt´s erschrocken in meinem Hirn, doch eine Millisekunde später muss ich schon darüber lachen. Sie sind zwar Anarchisten, aber ultra-alternativ und eher grün. Ne, entscheide ich, Pazifisten, das ist das entschiedene Endurteil meines Brains, die tun uns nix. Trotzdem ziehe ich mich für den Moment mal lieber zurück, bestelle schon mal ein Mashed-Potato-Gericht für heute abend bei Janet und mache mich vom Acker. Und da ist auch schon wieder der Regen. Pünktlich auf die Minute. Ich krieche ins Auto, Lesezeit.

Aber diesmal wird schon nach kurzer Zeit das Geprassel am Auto weniger, aus dem Fenster sehe ich das Auto von Daniel und Solveig einfahren und schon bald sitzen wir wieder in trauter Runde bei Digger und Tine.

„You know what“, beginnt Daniel das Gespräch. Er hätte sich so gefreut über die Trunkenheit und das Angebot des Rums, dass er uns nun einladen möchte auf eine Insel-Tour. „What about tomorrow?“. Gesagt, getan.

HORNBILL CAMP TAG 8

Donnerstag, 18.10.2012

Rooster in dritter Ehe

Rooster weckt uns alle und nun steht fest: entweder er wird gekillt, oder es gibt noch ein neues Chick. Einen ganzen Harem soll er kriegen!

Zum Glück stimmen alle für zweiten Vorschlag, und so geht Janet ins Dorf und kauft Michelle. Kaum ist die Henne da, wird sie von Rooster bestiegen, der hält ab sofort die Klappe und alle sind zufrieden. Daniel fährt ein, begrüsst uns herzlich, gibt uns seine Karte in die Hand auf der sein Konterfei zusammen mit Solveigs prangt, aber wichtiger ist die Typo: Island Ministries, steht da, und ich bin froh, das Rätsel endlich gelöst zu bekommen. Ist der jetzt von einer Sekte oder katholisch oder irgendwie anders-religiös? Nach der kursiv gestellten Zeile „Your Prayers are necessary and you Gifts are Appreciated“ steht da „For Support make check payable to: Harvest Church, California“. Also alles klar.

Aber egal, Daniel ist nett, und solange er nicht die Zugangsdaten meines Bankkontos wissen will ist auch alles gut. Wir steigen ein, fahren zum Haus der beiden am Berg, stolpern gleich über eine Spitting Cobra und eine aufgeregte Solveig kommt uns entgegen. „They tried to rob us!“.

Schon wieder! Ein Raubversuch am Haus. Daniel wirkt nervös, trotzdem hält er sein Versprechen, lädt uns auf eine Tasse Kaffee ein und erzählt von seiner Erleuchtung, in kurzen Worten: Unfall, überlebt, von Gott berührt, Scheidung, Heirat mit Solveig, Umzug nach Uganda, Leben für den Herrn. Wir schlürfen den Cappuccino, finden die Situation aber durchaus erheiternd, steigen bald darauf in den Wagen der beiden und fahren los.

Die Kinder schreien „Muzungu!“ und „Daniel“ und „Solveig“, und die Frau Priester bedauert, heute ausnahmsweise keine Tüte mit Bonbons im Auto zu haben. „Sonst“, sagt sie auf englisch „sonst kriegt immer ein jeder ein kleines Gutti von uns“. Mir stehen die Haare zu Berge, nein, ich kann das nicht schlucken, sondern muss zum Ausdruck bringen, wie sehr dass doch gar nicht geht. Ich meine, WEN betteln die dann alle an? - UNS!

Da sind Digger und Tine nun seit 18 Jahren auf der Insel, und es gibt kein Betteln und kaum ist der Preacherman da, geht’s los. Nun gut, die Beiden wollen nicht verstehen, sind sie doch auf dem Gutes-Tun-Film. Der ja auch verständlich ist. Aber eben falsch. In dem Moment.

Nach einer halben Stunde gebe ich frustriert auf, scheint nichts zu bringen, er will bekehren und nicht bekehrt werden. Weil wir aber alle ein kleines mulmiges Gefühl haben, fährt Daniel noch schnell zum Shop, kauft 10 Schlösser und Ketten für´s Haus, wir rattern vorbei an Schrainen, Hütten, Kindern und zweimal vollständige Klamotten am Wegesrand und machen uns auf den Heimweg. Nicht, ohne vorher ein paar Süßigkeiten zu verteilen. Ich krieg die Krise! „Die Kleider da“, erklärt Daniel, „Wisst ihr, wieso die da liegen?“, keiner hat ´ne Ahnung und er fährt fort „ein Freund von mir kennt den Witchcraft-Meister persönlich und hat mir erzählt, das macht man immer so, wenn ein Opfer gebraucht wird. Also, es werden meistens Kinder für Hexen-Zwecke ermordet, und dass es keinen Sinn macht, nach ihnen zu suchen, zeigen die Klamotten. So weiss jeder Bescheid, und keiner macht sich auf die vergebliche Suche! Meistens brauchen die Hexer auch Gliedmassen von Albinos, die sind als Erste dran!“.

Schweigend über so viel Grausamkeit und gängige rohe Sitten fahren wir zurück zum Haus. Zum Glück war kein Einbrecher da, auch kein Hexenmeister und keine Kindertraube, die nach Goodies verlangt, Daniel bringt uns zurück zum Camp, wo uns Digger und Tine schon sehnsüchtig erwarten.

„Sag mal“, meint Tine langsam „du machst doch so Grafik-Design“. „Ja“, antworte ich, während sie im Haus verschwindet und mit einem weissen Zettel wiederkommt. „Kannst du uns nicht einen neuen Flyer machen? - Das ist der Alte und da steht noch drauf: Chaka Zulu wartet auf Dich. Das geht nicht. Ist einfach zu traurig“.

Natürlich gestalte ich gerne einen neuen Flyer für die Beiden, was sich aber, und das war ja klar, als nicht so einfach rausstellt. „Nee, wir wollen da nicht so angeben!“, kommt auf meine Vorschläge zur Beschreibung vom wirklich sensationell schönen Platz. „Auch keine Bilder“, „Neee, farbig ist zu teuer“. Wir einigen uns dann aber doch auf „The Beach to be on Ssese Island“, die schönen Zeilen mit kleinen Sternchen „nestles between jungle & white sandy beach“ (so was von wahr!), „Bandas, Dormitories & Camping in a lush, beautiful natural Garden“ (Dschungel kann man ja leider nicht mehr schreiben), „Restaurant with a delicious variety of local and continental food“ (die drei Stunden Wartezeit müssen ja hierbei nicht erwähnt werden, und wenn´s dann mal auf dem Tisch ist, ist das Essen hervorragend!), „every eventing campfire at the beach“ (immer, wirklich immer, trotz Wetter, Wind und Regen), „more than 300 species of birds“ (wovon mindestens zwei völlig falsch singen), „monkeys and monitor lizards“ (die Familie und Pauli), „Superb sunset views“ (wenn es nicht regnet), „Eco-friendly“ (was mir persönlich ein Lächeln aufs Gesicht zaubert), „Lovely Staff“ (und ich meine Janet &Co), „Book Exchange & Games“ (alt, aber gut), „Jungle Walks“, „Canoe Trips“ (da ist wirklich ein Guide da, der fast täglich nach Gästen guckt) und „24 hrs Security“ (Ronald halt). „Just hop on a ferry“ steht da und neben dem stylishen Stempel prangt der schöne Satz „Don´t forget: Wildlife is nature´s pride“, den sich die Beiden ausgedacht haben und zurecht stolz darauf sind. Nach prägnanter Wegbeschreibung und Telefonnummer gibt’s Bilder vom Strand, dem Haus-Hornbill, dem Affenbaby und vom Garten.

Digger und Tine sind direkt von den Socken, wir bekommen zwei Nächte gratis und abends gibt’s wieder einen Special-Gast: Tahab, 32, Künstler, gerade frisch aus dem Knast.

Darum auch keine Haare auf dem Kopf, denn die werden sofort ratzeputz abrasiert. Tahab ist supersympathisch, auch wenn er ein bisschen verschnupft ist. „Zieht so, im Gefängnis“, gibt er zu. Scheinen keine guten Wände da zu haben, drum ist er jetzt erkältet. Nach kurzer Zeit wird uns sein Endlos-Sprachgesang aber irgendwie zu anstrengend und wir vier verziehen uns ins Haus und schauen einen Film.

HORNBILL CAMP TAG 9

Freitag, 19.10.2012

Kleine Reparaturen, viel Zeit
& eine Überraschende Gerichtsverhandlung

Georg holt den Wagenheber und zusammen mit Digger heben sie das schiefe Restaurant an, stellen ein paar Steine darunter und werkeln vor sich hin. Wieder ein Tag for free. Tine und ich ratschen, tauschen Bücher aus, und freuen uns des Tages. Leider werden wieder mal ein bisschen zu viel Bier gezischt, die beiden kriegen sich in die Haare und sparen nicht an Kraftausdrücken, wir ziehen uns zurück.

Digger klopft und will sprechen. Bald sitzen wir wieder in trauter Runde, neue Gäste erscheinen, werden allerdings ignoriert. Morgen fahren wir zum Lake Bunyoni, mal was anderes sehen, bevor wir auf das House-und Dog-Sitting-Angebot in Mbarara zurückkommen, für das uns Tanjya und Clive vorgeschlagen haben. Zum Abschied schenken wir Digger und Tine den Spielzeug-Toyota von Dirk aus dem Waisenhaus in Arusha, zwar mit halb weinendem Auge, aber doch froh, ein bisschen Platz im Auto zurückgewonnen zu haben.

Da läuft Digger ins Haus, zerrt eine riesige Tüte voll Holz-Zeug mit den Worten „Wir hatten ja mal einen Curio-Shop“ heraus, greift hinein und bringt eine zwanzig Zentimeter große Holzschildkröte zum Vorschein. „Die Schildkröte, ne“, setzt er an „ist das Symbol für“ und macht eine feierliche Miene, wobei sein neuer Rastafari-Ohrring zittert „für die Zeit!- Und die habt ihr ja. Mann, beneiden wir euch um das was ihr tut! Und Zeit“, und Digger macht eine rhetorische Pause „Zeit, wundervolle Zeit habt ihr hier auch mit uns verbracht. Darum möchte ich euch diese Schildkröte schenken! Auf dass ihr immer an uns denkt!“

Gerührt nehme ich die Schildkröte entgegen, nur ganz kurz denke ich „verdammt, wo soll die denn jetzt wieder hin“, aber das ist gleich wieder weg. Winkend und nachdenklich über die schöne, doch merkwürdige Zeit hier fahren wir vom Platz, Richtung Lake Bunyoni. Die schwangere Katze kriecht herüber, Rooster kreischt nochmal Good-Bye, Michelle gackert, Pauli faucht vom Kompost herüber und die Affenbande hat neue Eier in der Hand. Janet unterbricht ihr Chapati-Brutzeln und läuft mit Rose in neongrünen Stumpfhosen an der Hand zu uns herüber, Waswa unterbricht sein Rasengekämme und Ronaldi ist extra am Mittag für uns aufgestanden. Seltsam gerührt winke ich der Hornbill-Familie zu, während Georg schweigsam das Auto startet...

Da läuft ein auffallend gut in knallrotem Hemd und dunkler Jeans gekleideter Digger zu uns her: „könnt ihr mich mitnehmen? Ich muss zum Gericht. Wegen dem Nachbarn – hab ihm die Fresse poliert!“, sagts und springt mit Rucksack und Bierflasche ins Auto. Ich schüttle den Kopf und raune „Kannst jetzt echt nicht machen, mit dem Bier! Du fährst doch zur Verhandlung!“, woraufhin sich Tine einmischt „Doch klar! Das lockert die Zunge. Würd ich auch machen, echt!“ und zu Digger gewandt „Das wird schon!“. Wir fahren 40 Minuten hin zur gratis Masaka-Fähre, Digger zischt schon mal ein Bier; dort angekommen lernen wir Captain Lawrence kennen, der die Fähre sieben Tage die Woche steuert und uns auf einen Ratsch in sein Cockpit einlädt. Kreativ hält er dort sein Handy an die Lautsprecher und beschallt das ganze Schiff. Graue Schläfen geben dem 50-jährigen das gewisse Etwas, und so überrascht es nicht, dass er bei einem sensationellen Monatseinkommen von 4 Millionen Ugandan Shillings (2000 Euro) auch gleich mehrere Frauen am Start hat.

Nach kurzen 45 Minuten erreichen wir das Ufer, bringen Digger nach weiteren drei Bier zum Gericht, stopfen ihm noch zwei Kaugummi in den Mund und wünschen Glück für die Verhandlung.

HORNBILL CAMP, 3 Tage SPÄTER

Montag, 22.10.2012

Die Rallye & der Sauerbraten

Nach dem beschriebenen Regen-Fiasko am Lake Bunyoni kehren wir zurück. Wir fahren ab von der Fähre, werden üppig von Captain Lawrence begrüßt, bekommen einen Ehrenplatz als erster auf der Fähre, hoppeln über die schlechte Straße hin zum Hornbill-Camp und freuen uns schon, als wir einen rotkarierten Arm auf einem Pick-up entdecken. Digger!

Gleich darauf werden wir von der Polizei angehalten: „You have to drive faster!“, äh, das hat jetzt auch noch kein Polizist zu uns gesagt, als wir zögern, folgt ungeduldig: „There is a Rallye behind you!“.

Alles klar, Rennen auf Buggala Island, Georg gibt Gas, Digger ist Gast und schon sehe ich links im Graben ein umgedrehtes Rennauto. Wir fliegen dahin, erreichen atemlos das Hornbill. Waswa unterbricht sein Rasen-Rechen, Ronald erscheint verschlafen aus der Hütte, Rose läuft uns in orange-glühenden Leggins entgegen und Janet lächelt breit übers ganze Gesicht. Alle rennen zu uns, inklusive Rooster, der natürlich nur Janet folgt, Michelle und Katze. Große Umarmung, Freude, Lachen!

Bald darauf fährt Tine auf dem Boda-Boda-Motorrad-Taxi ein, springt ab, umarmt uns und grinst: „Eigentlich wollte ich ja jetzt so tun, als kenne ich euch nicht und sagen: wer seid ihr denn, - aber ich hab´s nicht fertig gebracht. Ich freu mich so!“, sagts, und umarmt uns beide herzlich.

Eine Stunde später folgt Digger, der ist völlig aus dem Häuschen über unser Wiedersehen, wir genehmigen uns ein warmes Bierchen, das Spielzeugauto thront am besten Platz am Fensterbrett, die schrullige Katze rollt mit dickem Bauch herum und scheint kurz vor der Niederkunft. „Wisst ihr was?“, unterbricht Tine da „Morgen koche ich für euch echten bayerischen Sauerbraten!“.

Das tut sie auch tatsächlich, der Captain schaut mit seiner dritten Frau und dem siebten Baby vorbei, Colonell Kaka setzt sich auf ein warmes Bier, Preacherman Daniel und die blonde Solveig bestellen sich Chapati und Mangosaft, die Affen haben schon wieder Eier geklaut, Pauli legt sich mit einer Spitting Cobra an, Rooster vögelt Amanda und Michelle, Susan brütet immer noch im Pizzaofen und Waswa kämmt den Rasen...fast schon schade, dass wir bald wieder weg müssen!

Good-Bye, Hornbill-Family!

BWINDI IMPENETRABLE FOREST

Samstag, 03.11.2012

Der lieblich pfurzende Makara

Winzige Wassertropfen schimmern auf hellgrünen Blättern, ich bin in ein Mosaik aus klitzekleinen Grünsteinen gehüllt, nass schimmernde Wurzeln knacken unter meinen Füßen. Der feuchte, engmaschige Regenwald des Bwindi Impenetrable Nationalparks im Südwesten Ugandas umgibt mich. Mein Atem erzeugt eine dicke Wolke, die sich schnell mit dem transparenten Nebel verbindet.

Ich hechle dem für meinen Geschmack viel zu fitten Ranger hinterher, immer weiter den steilen rutschigen Hang hinauf, seine Machete schlägt unermüdlich ins Dickicht, Teile von Grün und Braun fliegen erst quer durch die kühle Luft, dann fallen sie leicht zu Boden, um uns einen schmalen Weg zu bahnen.

Schweren Herzens haben wir uns von Digger und Tine verabschiedet, sind ins stilvolle Anwesen nach Mbarara gefahren, haben zwei schöne Abende bei Grillfleisch, Wein und guter Gesellschaft verbracht, wurden den Hunden Bauk und Bet vorgestellt und sind nun schon wieder auf dem Weg nach Buhoma.

Denn morgen steht Gorilla-Tracking auf dem Programm, was so viel heisst wie: wir versuchen anhand von Spuren wie Dung, Nestern und niedergetrampelten Wegen die aussergewöhnlichen Primaten im Urwald zu finden. In Uganda gibt es sechs habituierte Berggorilla-Gruppen, die an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt sind - und somit nicht vor uns fliehen. Satte 500 Dollar kassiert die Uganda Wildlife Authority, kurz UWA für dieses Vergnügen. Zum Glück für uns hat ein Pärchen ziemlich spontan abgesagt, und so können wir das Spektakel für reduzierte 350 Dollar erleben.

In sechs aufreibenden Stunden für 180 Kilometer rattern wir über brutal schlechte Straßen nach Buhoma, in den Südwesten des Landes; zwischendrin rutscht mir zusammen mit Vally´s Karosserie auch das Herz in die Hose. Des Toyota´s Körper rutscht dank extrem schmieriger Schlammpiste völlig unkontrolliert gen Mega-Baum-Wald-was-muss-der-jetzt-auch-da-stehen, und wir halten nur noch die Luft an. Diesmal war´s richtig, richtig knapp vor dem Crash!

Nach einer Nacht unter Chamäleons treffen wir uns um 7.30 Uhr am Eingang des Nationalparks und nach kurzer Registrierung, kleiner Einweisung in Gorilla-Verhalten und allgemeinen Hinweisen (vor dem Besuch Hände waschen, kein Schreien, kein aggressives Verhalten, kein Schnäuzen, Essen oder Trinken, nicht in Gorilla-Augen schauen, weglaufen, auf die Brust schlagen, keinen Blitz in der Kamera, kein Streicheln, kein Müll) geht’s auch schon los. Da unsere Gruppe „Habinyanja“ allerdings ziemlich reise- und wanderlustig ist und auch gern mal über die Grenze ins Kongo-Gebiet schaut, hüpfen wir nochmal ins Auto, fahren 45 Minuten über Stock und über Stein, entlang der nebelumwirkten Berghänge Richtung Westen, passieren ein paar Dörfer und winkende Kinder, harkende Männer und Holz tragende Frauen und halten ziemlich abrupt nach einer Kurve.

Erst stockt mir der Atem, denn wie aus dem Nichts taucht eine Gruppe bis an die Zähne bewaffneter Männer in Camouflage-Kleidung auf. Wir alle wissen, die Kongo-Flüchtlinge sind nicht weit und so produziert mein Hirn einen leichten Adrenalin-Schock, der sich aber bald wieder legt, als ich das mittelgroße Emblem des UWA auf den Einheits-Regenjacken entdecke. Unser Fahrer hält, wir steigen aus, es geht los. Mittenrein in den ursprünglichen Dschungel im 331 km² großen Bwindi Nationalpark, der nicht umsonst den zweiten Vornamen „Impenetrable“ (undurchdringbar) trägt. Wir sprechen hier auch von einem Regenwald, der sich gewaschen hat: satte 2,5 Meter Regen fällt hier im Jahr auf die Erde!

Ausser den entzückenden Berggorillas treiben sich auch Waldelefanten, Pinselohrschweine, Schimpansen, Hasen, Erdhörnchen, Wildkatzen, Rotschwanzaffen, Blue Monkeys, Baboons, Schackale, diverse Antilopen, über 350 Vogelarten, 200 verschiedene Schmetterlinge, 14 Schlangenspecies und weitere 43 Reptilienarten im dichten Dschungel herum.

Nicht mehr als acht Leute sind in einer Gruppe pro Tag erlaubt, ansonsten wäre die Belastung und Beeinflussung für die scheuen Gorillas zu groß; und unsere Gruppe ist voll gebucht. Berggorillas leben ausschließlich auf den Virunga-Vulkanen und den Bwindi-Bergen im Grenzgebiet zwischen Uganda, Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo. Die sanften Riesen machten es uns ja nicht wirklich einfach, eine Entscheidung für sie zu fällen. Irgendwie hat´s Uganda voll auf der Katastrophen-Skala erwischt. Täglich erreichen uns neue Negativ-Schlagzeilen via Internet und Radio:

Ebola-Ausbruch im Norden mit 24 Todesopfern, 70 Marburg-Virus-Tote am Lake Bunyoni, Mord- und Todschlag aufgrund verzweifelter Kongo-Kriegs-Flüchtlinge – und das alles im letzten Monat. Irgendwie umschippern wir zum großen Glück alles, obwohl wir kurioserweise exakt zum Krankheits- und Katastrophenausbruch in den jeweiligen Gegenden weilten. „Africa is not for sissies“ – wie Recht doch Graeme aus Plett hatte! Mittlerweile sind Fieberthermometer und Hand-Desinfektions-Gels auch unsere besten Freunde, denn Händeschütteln gehört zum guten Ton. Keine Verkehrskontrolle, Gemüseeinkauf oder Informationsaustausch ohne.

Letzten Endes siegt dann aber doch wieder die Neugier und wie entscheiden uns für eine Fahrt nach Bwindi. Da Mountain-Gorillas 98 Prozent unseres Erbgutes tragen, müssen wir einen Sicherheitsabstand von sieben Metern einhalten, um uns nicht gegenseitig mit Krankheiten anzustecken. Die häufigsten Todesursachen für die massiven Tiere sind demnach - neben Wilderei – Lungenentzündung und Malaria. Da ich durch Dian Fossey´s interessantes Buch „Gorillas in the Mist“ optimal vorbereitet bin, kann ich nun auch mit ein paar beeindruckenden Infos aufwarten, die ich niemandem vorenthalten will:

Anatomisch gesehen sind wir den drei großen Menschenaffen erstaunlich ähnlich: Orangutan, Schimpansen und Gorillas sind die einzigen Primaten mit fünf Fingern an Hand bzw. fünf Zehen an den Füßen, zwei Brüsten mit Brustwarzen, nach vorne gerichteten Augen für binokulares Sehen, keinem Schwanz und einer Gesamtanzahl von (normalerweise) 32 Zähnen. Die letzten Mountain-Gorillas sind nur noch hier im ostafrikanischen Gebiet zu finden, leider gibt es nur noch um die 700 Tiere – knapp die Hälfte davon lebt in den Bergen Bwindis. Es gibt keinen einzigen Berggorilla, der im Zoo überlebte: sie hungern sich schlicht und ergreifend zu Tode. Nahrungsverweigerung aus Unglücklichsein!

Berggorillas sind mit einer Körperlänge von 150 bis 175 cm und einem Gewicht von bis zu 270 Kilogramm die größten ihrer Art, sie haben eine breitere Brust, längere Körperbehaarung, größere Nasenflügel, kürzere Arme, längere Gaumen und kürzere aber großzügigere Hände und Füße als Tiefland-Gorillas. Ihr Körperbau ist ausgesprochen massiv und kräftig, ganz besonders natürlich beim Silverback, dem Oberhaupt der Familie, der eine beeindruckende Armspannweite von 2,3 Metern besitzt. Ab dem Alter von 15 Jahren beginnt sich der Rücken des Männchen silbrig zu verfärben, es ist dann Zeit für ihn, eine eigene Familie zu gründen. Berggorillas leben in sozialen Haremsgruppen, das heisst, normalerweise besteht eine Familie aus einem dominanten Silberrücken, mehreren fruchtbaren, sexuell aktiven Weibchen und dem gemeinsamen Nachwuchs.

Eine typische Gruppe besteht aus 10 bis 25 Tieren, die in strikter Rangfolge gemeinsam unter einem Dschungeldach leben: alle Mitglieder ordnen sich dem Silverback unter, der jedoch im Falle eines Falles auch nicht mit der Wimper zuckt, und sein Leben für das der Familie gibt. Die einzelnen Tiere sind emotional extrem stark miteinander verbunden, äußerst vielschichtige Kommunikationslaute, Gestik und Mimik sind an der Tagesordnung. Man knuddelt, kämmt sich das Fell, pult Fremdkörper daraus, kuschelt, sorgt füreinander und spielt.

Als tagaktive Tiere verbringen die Berggorillas die meiste Zeit, nämlich 40 Prozent mit Rumhängen, 30 Prozent mit Futtern und 30 Prozent mit Reisen oder Nahrungssuche. Blumen, Blüten, Blätter, Rinden und Beeren schlemmen ist Ehrensache, auch der von den Elefanten bevorzugte Amarula-Baum ist eine besondere Schleckerei für die Affen. Für die angenehme Nachtruhe baut man sich jeden einzelnen Abend gemütliche Nester mit angenehmer Bettkante, die aus ungenießbaren Pflanzen hergestellt werden. Diese Infos im Kopf kann ich es nun kaum mehr abwarten, in Echt, Realität und Farbe auf die sanften Riesen zu treffen.

Während ich im feuchten Nebel so dahinstapfe überwältigt mich der intensive Geruch von geradlinigem Moschus, leicht gemixt mit klaren Eichenmoosnoten und würziger Bergamotte. So würde das jetzt die Parfümerie-Fachverkäuferin umschreiben: „White Musk“ von Bodyshop ist ein billiger Abklatsch gegen das hier.

Plötzlich raschelt es in der Baumkrone über mir, ich vergesse den Geruch und blicke nach oben: ein schwarzes Fellknäuel hängt dort, äußerst elegant hangelt es sich von einem Ast zum nächsten und schaut mir von oben in die Augen. Kugelrunde, dunkelbraune, schimmernde Murmeln nehmen mich wahr, linsen neugierig herunter. Zack, umklammert der Kleine einen Stamm und rutscht geräuschvoll wie an einer Feuerwehrstange herunter und rennt auf mich zu. Auf mich! Ich gehe in die Hocke, will auf den Boden schauen, kann aber nicht, denn er ist einfach zu süß.

Unbeholfen, patschig und irgendwie schief kommt der Gorilla-Youngster näher. Geradewegs zu mir. Plötzlich bleibt er stehen, legt seinen wuscheligen Kopf schief. Auge in Auge! Ohhh! Ich bin verzückt! Komm her! Ich will dich knuddeln, knutschen, kitzeln, kraulen! Jetzt! Sofort!

Irgendwie scheint er was zu ahnen, denn skeptisch zieht er die breite Nase kraus, blinzelt neckisch, warmes Rehbraun überzieht dabei seine schimmernden Pupillen, dann steht er wieder still. Drei Meter vor mir. Er mustert mich und überlegt. Nach kurzem Zögern aber grummelt es rechts von uns. Langsam drehe ich den Kopf und schaue hin. Da sitzt Mama und flüstert: komm´ jetzt! Ein leiser Ton vom Fellknäuel vor mir, ein kurzer Augenaufschlag, und weg ist er. Ab nach rechts und dann gleich auf den Schoss, kuscheln.

Verdammt, der Platz ist schon besetzt! Auf leisen Sohlen schleiche ich mich näher. Ich entdecke ein winziges Baby, das auf ihr kauert und Daumen lutscht. Die kleinen Fingerchen der anderen Hand sind ins lange schwarze Fell gekrallt, das Gesicht zwischen den Brüsten der Mutti. Doch die hat jetzt genug, sie rappelt sich auf, lehnt sich an einen breiten Baumstamm und nimmt ihr Baby in beide Arme, hält es prüfend hoch, dreht den Drei-Käse-Hoch hin und her und setzt ihn anschliessend wieder resolut auf ihren Schoss. Da kommt auch schon der Kleine von gerade eben und springt in hohem Bogen auf die Beiden, was eine Schimpftirade von Mama auslöst, die erhebt sich, murmelt vor sich hin, nimmt beide Kinder an der Hand und zieht sie in den Busch.

Ich bin entzückt, hingerissen und absolut euphorisch. Keine Ahnung, warum, wieso, weshalb! - Aber ihre Augen, ihre Haltung, ihr Gebaren – es ist als blicke man einen Menschen an. Alles ist so verblüffend ähnlich, um nicht zu sagen, gleich! Es geht so nahe! Völlig trunken und berauscht blicke ich hinterher, wie sie im Dickicht verschwinden und mache mich auf den Weg zu meiner, zur menschlichen Gruppe, die schon den anderen Tieren hinterhergeht. Es ist ganz merkwürdig.

Ein paar Schritte weiter und ich rieche wieder diesen extremen Moschus-Duft. Die Luft ist komplett davon angereichert. Ich blicke um mich und gleich darauf sehe ich ihn: massiver Schädel, weiche rotbraune Augen, silberner Rücken, knackiger Po. Ein Silverback sitzt geruhsam auf dem Boden, zur Hälfte bedeckt mit Farn artigen Blättern, die er gierig in sein breites Maul stopft. Als ich nähertrete, hebt er den Kopf und schaut mich neugierig an. Das Infoblatt sagt „der draufgängerische Makara fungiert als mächtiges Oberhaupt der Habinyanja-Gruppe und hat bisher jeden Kampf mit rivalisierenden Silverbacks für sich entschieden. Sexuell überaus aktiv hat er die Familie in den letzten Jahren verdoppeln können und zwei weitere Weibchen angeworben, die gerade trächtig sind.“

Die gesamte Familie hat sich um ihn herum gruppiert, Teenies spielen in den Bäumen, Babies nuckeln, Mädels fressen. Ein einziges tropisches Familienidyll im feuchten Dschungel. Auf der Mama krabbelt das erst zwei Wochen alte Baby, beide lachen und Mutti zeigt eine beeindruckende Zahnreihe mit spitzen lange Eckzähnen. Schon wieder knistert es über mir, und ich erspähe zwischen grünen Blättern einen schwarzen Kleinen, der jüngere Geschwister ärgert, sie über Baumkronen, Äste und Farne jagt. Helles Quietschen, Grummeln und spitze Spielschreie erfüllen die feuchte Luft, bevor er den King Kong macht.

Da ertönt ein mächtiges, tiefes, raues Grollen. Irgendwie eine Mischung aus Sofa-Rücken auf Asphalt, altem Schweinegrunzen und Gasgeben beim 300 PS Motor. Intensives langgezogenes Hrrrrrrrrrrmhp mit abruptem Ende. Sofort blicken alle zum Papa, nur das Baby krabbelt immer noch herum, diesmal weg von der Mami. Peng, da macht Baby einen ultralangen Purzelbaum, an uns vorbei, den ganzen Berg hinunter, wie Menschenkinder im Schnee. Doch schon ist Mama da, hechtet hinterher, legt zärtlich den Arm um den Nachwuchs und mit einem Schwung sitzt er wieder auf ihrem Bauch, an dem es sich nun grinsend festkrallt.

Die ausgesprochen aktive Gruppe macht sich auf den Weg, vor uns, über uns, hinter uns. Der Ranger macht ein Zeichen, wir folgen. Den Berghang hinunter, es wird glitschig und feucht. Zum Glück kommt gerade jetzt die Sonne heraus und zeichnet helle Punkte auf die grünen Blätter, der Nebel verzieht sich, die Farben werden klarer, der Weichzeichner verschwindet. Nach kurzen fünf Minuten sehen wir den mächtigen Silverback wieder.

Entspannt sitzt er zwischen Farnen und Blättern und mampft rote Beeren. Wie Karamell-Schokolade leckt er daran und schiebt sie dann gierig zwischen die Lippen. La dolce vita! Dabei weiten sich seine Nüstern, er gibt einen gurrenden Brummelton der Zufriedenheit von sich, lässt geräuschvoll Einen fahren und streicht sich über den Bauch. Kommt mir jetzt irgendwie bekannt vor. Umringt von Frauen und Kindern scheint er sein Gorilla-Leben voll zu genießen. Unsere Blicke treffen sich und nie, niemals im Leben werde ich diesen sanften Ausdruck, die weichen, warmen, melancholisch rotbraunen Augen vom friedlich pfurzenden Makara vergessen!

KIBAALE Nationalpark

Donnerstag, 15.11.2012

Die pfannkuchendÜnnen Unterschiede von einem Prozent nochwas

Nach dem wundervollen Erlebnis der Gorillas möchte ich mir jetzt auf keinen Fall die Schimpansen entgehen lassen, brenne direkt darauf, unsere nächsten Verwandten im Tierreich persönlich und ohne trennende Gitterstäbe oder Glasschreiben kennenzulernen. Servus, langzähnige Verwandtschaft!

So tuckern wir im Toyota knappe vier Stunden nach Kibaale, dessen Wälder unter vielen eine Wahlheimat der charismatischen Affen sind. Zwei entspannende Wochen Housesitting in der schönen Backstein-Finca mit großem Garten-Grundstück in Mbarara liegen hinter uns, Couch, Fernseher, Küche und eigene Dusche waren extrem wohltuend, leider habe ich mich schwer in die beiden Mischlingshunde Bet und Bauk verknallt und heule beinahe beim Abschied.

Am Nationalpark-Eintritt in Kibaale kaufe ich beim netten Ranger John für 150 Dollar die morgige „Permit“ für den Vormittags-Schimpansen-Besuch. Um acht Uhr am nächsten Tag versammelt sich unsere kleine Gruppe von fünf Menschlein am Gate, wir hechten kurze 35 Minuten durch den verschlungenen Urwald und hören bald darauf auch schon lautes Uh-uh-uh und Ah-ah-ah aus den Tiefen des Dschungels. Neben uns turnen Black and White Colobus Monkeys mit ihrem weissen 70er-Jahre-Fransenteppich am Rücken die Baumstämme hoch, über uns hüpfen Red Tailed Monkeys mit dem langen roten Schwanz und Grey Cheeked Mangabeys, die natürlich auch wegen ihrem Make-Up so heissen. Schmetterlinge in allen Formen und Farben schwirren um mich herum, als ich meinen ersten Chimp wuselnd unter großen grünen Blättern am Waldboden entdecke. Der erhebt sich sofort und macht sich mit knochigem Arsch und langen Armen auf den schiefen Weg und bringt uns ungewollt zu seiner grossen Familie. Die besteht in Kibaale nämlich aus satten 100 Tieren, die in losen Gruppenverbänden friedlich miteinander leben. Schimpansen sind unsere nächsten Verwandten im Tierreich, nur 1,35 % unseres Gengutes unterscheidet uns! Da sieht man mal, was so ein pfannkuchendünnes Prozent so ausmacht...

Ranger John weiss viel über seine Schützlinge und legt im Flüsterton informativ drauf los, während sich die Affen vor unseren Augen gegenseitig striegeln und hin und wieder ein grünes Blatt vom Baum zupfen und es gemütlich in die dicken Backen schieben: die tagaktiven Affen bringen zwischen 45 und 70 Kilo auf die Waage, bei einer Gesamtgröße von bis zu 1,70 Meter ergibt das den anorektischen BMI von 15,6 für die Weibchen. So in dem Bereich dürfte Frau Beckham auch liegen.

Während ein paar Kleine in die Wipfel springen, fährt Ranger John fort: gegenseitige Fellpflege ist wie bei den Gorillas und fast allen Primaten ein wichtiger sozialer Background und spiegelt ungebrochen die Hierarchie der Gruppe wider (Ergo: sich gegenseitig Zöpfchen-flechtende Menschen-Mädchen sind viel sozialer wie Rennauto-umherschiebende Jungs, aber das wussten wir ja schon immer). Normalerweise bleiben die Männchen lebenslang ihrer Geburtsgruppe treu (das wiederum ist erstaunlich, aber halt auch einfacher beim Hotel Mami nicht ausziehen zu müssen), währenddessen die Dicso-Fever-Females meist ins benachbarte Dorf ziehen, sobald die ersten Brüste wachsen, äh, sie geschlechtsreif sind (und sich dort mit der Schwiegermama arrangieren müssen).

Ranger John macht ein eindrucksvolles Uh-uh-uh das mich ganz aus dem Konzept bringt, ein Affe guckt gelangweilt rüber und John fährt mit seinen Erklärungen fort: Schimpansen wie mein Liebling hier, der 14-jährige Nako, sind promiskuitiv und ein Weibchen hat während ihrer fruchtbaren Phase sekundenkurzen Mini-Sex mit mehreren Männchen der Gruppe.

Die Mama-Baby-Bande sind wie beim Menschen extrem eng und bleiben ein Leben lang bestehen. Aussergewöhnlich sei, so der Ranger, dass Schimpansen bewusst Gegenstände zu Werkzeugen formen und benutzen, um besser an Nahrung zu kommen, zum Beispiel Holzstöckchen, mit denen sie hohe Termitenhügel ausräumen; Schleckereis also. Die Tiere fügen sich bewusst zu organisierten Gangs zusammen, um ihr Ziel besser zu erreichen, auch bei der Jagd auf kleinere Säugetiere, ausserdem sehr speziell: sie besitzen ein besonderes heilpraktisches Wissen um Pflanzen! Bei auftretenden Krankheiten geht man professionell auf die Suche nach speziellen Blättern, um das jeweilige Leiden zu kurieren, dieses Heilkunde-Wissen wird dann an die Kinder weitervermittelt. Als Allesfresser schieben sich die Schimpansen sowohl Blätter, Äste, Blumen und auch Blüten, sowie Insekten und kleine Säugetiere gierig schmatzend in den Mund.

Ohrenbetäubendes Kreischen. Raschelnde Baumkronen. Wackelnde Stämme. Einzelne Blätter rieseln zu uns und auf den Urwaldboden herunter. Es hat sich herumgesprochen, eine Menschengruppe ist da! Ein paar vorsichtige Schimpansen-Mamis flüchten weiter hinten mit ihren klitzekleinen Babies auf dem Rücken in die hohen Baumwipfel, selbstbewusstere Männchen bleiben am Boden und gucken uns wieder an, während der Ranger plappert. Bald schon hat sich die Aufregung gelegt, die Jungs fahren fort mit ihrer Lieblingsbeschäftigung nach dem Fressen: dem Grooming (Fellpflege). So passiert in den zwei Stunden, die wir bleiben dürfen nichts aussergewöhnlich Spektakuläres, die Chimps fressen ein paar Blätter, pflegen sich gegenseitig die Felle, machen ein paar menschliche Grimassen und grinsen uns und Ranger John an.

Trotzdem ist es erstaunlich schön, den Menschengleichen zuzusehen, nicht im Zoo, nicht im Käfig, sondern von ihnen im natürlichen Lebensraum geduldet. Wir als Besucher in der Schimpansenwelt. Hoch in den sicheren Wipfeln werden wir von den neugierigen Kleinen mit noch hellen Gesichtern und riesigen Kulleraugen beäugt, Menschenbaby-like springen die neugierig näher und sehen auf uns herab. „Übrigens“, flüstert Ranger John, „die Entwicklung der Kleinen ist so ziemlich dieselbe wie bei Menschenkindern: die ersten fünf Monate weicht das Kleinkind seiner Mutter nicht vom Rockzipfel, es wird liebevoll unter dem Bauch und auf dem Rücken getragen, aufopfernd umsorgt, gefüttert, beschmust und bespielt. Auch danach bleibt das Baby noch in der sicheren Nähe der Mami, die Lebensbande bleiben für immer sehr eng. Schwanger wurde die Chimp-Mum in ihrer Zyklusdauer von 35 bis 45 Tagen, nach fruchtbarem Sex war sie 8 Monate schwanger und brachte ihr zuckersüsses Baby dann mit 1,5 bis 2 Kilogramm zur Welt“. Baby-Chimp kann übrigens auf ein schönes, langes Leben von bis zu 55 Jahren hoffen! Sofern der Lebenswandel nicht zu aufreibend ist...und sich der Verzehr von „Heilpflanzen“ in Grenzen hält.

Ranger John ist uns hold gesonnen, die Besuchszeit ist schon lang überzogen, wir sitzen immer noch schweigend vor den Affen, knipsen Fotos, grinsen und staunen. Als Nako uns schweigend den Fuck-Finger zeigt, lache ich laut auf und wir alle wissen: es ist Zeit zu gehen.

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