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SAN PEDRO DE ATACAMA

Sonntag, 11.09.2011

Andere Liga

Manganblaues Meer. Frische Salzluft. Lautes Möwengeplänkel. Eine leichte Brise streicht uns angenehm um die Nase, eine Horde dunkler Sommersprossen rekelt sich wohlig darauf, die kalt-sprudelnde Cola schmeckt großartig - es ist endlich wieder warm!

Das Quecksilber im Thermometer hat gerade die 25 Grad-Marke erklettert - die dicken Bergstiefel haben wir weit von uns geschmissen, die fetten Decken im unteren Regal verstaut, Thermohose und Schal versteckt, die ausgefrorenen Füße schlappen in wunderbar-luftigen Flip-Flops. Lieblingsschuhe, gute-Laune-Wetter und Sommergarderobe heben bombastisch die Stimmung! Wir machen Panorama-Mittagspause am Bergkamm vor Antofagasta, haben vor vier Tagen problemlos die Grenze zu Chile passiert, sind in San Pedro de Atacama die erste Nacht im Hostel geblieben (28 Euro) und haben anschließend ausschließlich wild in fürstlichen Szenarios gecampt.

Nach göttlich-goldenen Sonnenuntergangs-Arien inmitten feuerroter „Valle de Luna“-Felsenlandschaften erlebten wir eine kadmium-orange, einsame Nacht inmitten des feinen Atacama-Wüstensandes und schwebten schwerelos in der Cejar-Salzlagune, bevor wir heute Abend unser fünftes Lager an der schroffen Küste aufschlagen werden.
Es fühlt sich an wie ein verlängertes Wellness-Wochenende: heiße Relax-Wüstensteine unter dem Rücken, Hornhaut-Peeling im Desert-Sand und Floating im 500-Kubikmeter-Natur-Tank, was will man mehr – und das nach dem Windsturm-Winter-Trip im Altiplano.

Gerade sind die Sandwiches fertig geschmiert, ich sage freudig „listo!“ und drücke Georg eins in die Hand, als ich von hinten ein „Hola! Como estas?“ höre. Ich drehe mich um, wende den Blick ab vom schier endlosen Pazifik mit rauer Felsküste im Vordergrund und sehe einen kleinen Chilener gemütlich auf mich zuschlendern. Er lugt verschmitzt braunäugig aus kleinen Schlupflidern, grinst von einem Ohr zum anderen unter den lustig-verstruppelten Haaren und frägt Kamera-wedelnd „Puedo tomar un foto?“ (kann ich ein Foto schießen?).
Nelson, so stellt er sich vor, ist leidenschaftlicher LKW-Fahrer und begeisterter Toyota-Fan, findet unseren Umbau sagenhaft und überhaupt hätte er gerade Zeit und Lust auf ein Schwätzchen. Vor einiger Zeit hat er einen Unfall passiert, die ganze Spur wurde für drei Stunden gesperrt, er ist also mit seiner Ladung schon „so-was-von verspätet, dass es nun auch schon egal ist“. -“und hier ist das perfekte Plätzchen für´s Mittagsalmuerzo!“. Sprach´s, und holt sein Essen in der Tupperdose hervor.

„De mi esposa!“ (von meiner Frau) lächelt er, zieht das Portemonnaie aus der hinteren Hosentasche, da klappt auch schon das Familienleben hinter Plastikfolie herunter, das Fotoalbum zählt bestimmt 35 Fotos. Fünfzehn Minuten später kennen wir Nelsons komplette Lebensgeschichte, als Truckfahrer verdient er gut, das Schichtsystem von „fünf Tage arbeiten, fünf Tage frei“ findet er super, so bleibt viel Zeit für die Jungs. Die Bilderflut im Zeitraffer: Sohn Diego beim ersten Geburtstag, danach im Kindergartenalter, Manuel bei der Einschulung, Diego gestriegelt und poliert bei der Kommunion, auf dem Pferd, auf dem Mini-Motorrad, beim Campingurlaub, am Asado-Grill, bei der Hochzeit der Tante. „Soy papa de corazon!“(Papa des Herzens), strahlt Nelson, „am liebsten hätte ich die Brust gegeben“, „pero no leche aqui“, lacht er während er sich an den Oberkörper fasst. Familie ist Alles, das Beste im Leben, sprüht es aus ihm, die Augen glänzen, überhaupt, meint er, hier in Chile arbeitet man, um zu leben! Nach kleiner rhetorischer Pause fügt er an: „in Deutschland lebt man ja, um zu arbeiten, nicht wahr?!“ - Äh, was soll ich sagen, oh Mann, selbst bis zu Nelson nach Chile hat sich das herumgesprochen. Ohne die Kids würde er auch sofort auf Weltreise gehen, die Idee ist super, „claro que si! Que aventura!“(was für ein Abenteuer). Wobei, Zuhause findet er es schon ziemlich gut, „soy muy contento con mi vida y mi familia!“(bin sehr zufrieden mit meinem Leben, und meiner Familie), grient er, „y mis amigos, claro!!.

Nelson haut Comedy-Familien-Stories raus, Freundeskreis-Anekdoten, lacht, entertaint, redet sich in Rage - ich komme nicht umhin zu denken, Nelson ist rein menschlich gesehen eine ganz andere Liga als Bolivien! Kommunikativ, zuvorkommend, geradeheraus und schlagfertig. Wir könnten uns spielend stundenlang mit ihm unterhalten, doch wir müssen leider weiter, einen Campplatz finden. So verabschieden wir uns nach einem Gruppenfoto schweren Herzens und unser neuer Freund lässt es sich nicht nehmen, Adresse und Telefonnummer aufzuschreiben „Si hay problemas!“ ruft er über die Schulter - egal wo in Chile, ob in der „ciudad o en el campo“ - „tengo amigos“ (ob in der Stadt oder auf dem Land - ich habe Freunde) - überall!! „Ilama-me!“. Sagt´s und erklimmt die Stufen zu seinem Monster-Truck, lugt fröhlich-winkend heraus und macht die drehende Daumen-kleiner-Finger-Geste am Ohr: „Ruft! Mich! An!“.

Verzückt bleiben wir zurück, fahren hochgestimmt hinunter zur rauschenden Küste, finden einen windgeschützten einsamen Sonnenplatz – zum Glück können wir die Untersetzung im Getriebe zuschalten und der weiche Sand ist kein Problem. Wir parken hinter großen Felsen und bereiten das Abendessen mit Blick auf die im Meer untergehende Sonne. Das Leben ist schön!

Nelson soll nicht der einzige sympathische Chilene bleiben, er war der sprichwörtliche Stellvertreter, die Leute sind überdimensional hilfsbereit, nett und zuvorkommend, man gibt Tipps, verschenkt Zangen, Zeitung und Süßigkeiten – und ist großzügig verschwenderisch mit köstlich guter Laune!

Soweit die guten Nachrichten. Da fällt mir spontan ein, dazu gehört natürlich auch der Rotwein (es hilft, dass er gerade vor meiner Nase steht). Der ist nämlich die galante Krönung und rangiert im Tipp-Topp-Preislevel mit simplem Sprudelwasser. Schlappe 1400 Pesos (2,50 €). Kann man nicht meckern. - Ach so, ja, die schlechten Nachrichten: alles andere ist schweineteuer. Zwar gibt’s wieder richtigen Käse, gute Wurst und schwarzes Vollkornbrot, doch sowohl sonstige (Über-) Lebensmittel als auch Campingplätze, Hostels und Diesel sind extrem hochpreisig.

Na denn, konzentrieren wir uns zuerst mal auf die positiven Seiten: Cheers, Prost und Salud!

TORRES DEL PAINE + PATAGONIEN

Dienstag, 25.10.2011

Hier wohnt der Windgott!
oder Wind, wind und nochmals wind an den "tÜrmen der Pein"
(jetzt mal frei Übersetzt)

Ich ziehe meine Goretex-Schultern etwas höher, die wärmende Mütze weiter ins Gesicht, ein zweites Paar Windstopper-Handschuhe muss her. Kapuze enger geschnallt, Schal zweimal drumherum geknotet.

Das ist kein Kindergarten-Wind, das ist meckernd-aggressive Seniorenklasse. Allein der Sound lässt einen schon fürchten, die Bäume stehen waagrecht, die Hasen ducken sich ab, die Haare der Guanakos sind kurz vorm Ausfallen. Ein Leben im Eisschrank mit drei-Stufen-Ventilator! Hola Patagonien!

Schon wahr, schneebedeckte Bergmassive sind toll, drei aufragende Granitnadeln des Torres del Paine beeindruckend, blau-glitzernde Eisberge sind fantastisch, große azurfarbene Lagunas bezaubernd, absolute Einsamkeit und volle Naturpracht sind klasse – aber das alles mit permanentem 80 - 120 km/h-Wind! - Nein, nicht toll!

Ich weiß, es soll da Leute geben, die sehen das anders, gell Schatzi, doch in der gesamten Zeit, die wir nun in Patagonien sind, waren gerade mal drei, ich wiederhole, drei windarme (nicht windstille) Sonnentage mit dabei. Die Standheizung läuft permanent auf volle Pulle, der Toyota wird geschüttelt, die Daunenjacke federt, die Sockenanzahl wird auf zwei Paar erhöht, Ski-Unterwäsche ist Pflicht.

Jetzt noch schnell die drei „wunderbaren“ geplanten Wanderungen hinter uns bringen, ach so ursprünglich, doch dann, ja dann sag´ ich nur: Flip Flops! Bikini! Sonne! Meer - Uruguay, Brasilien! Oh Yeah, wir kommen mit quietschenden Reifen!

Moment, ich mach dann mal schnell neuen Tee und erhöhe auf drei Socken und zwei Schals.

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