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CARTAGENA

Montag, 16.05.2011

alles da - Äh, bis auf´s auto

„Que quieres? Café, Chicken, Coca, Marihuana?“ - Häh? „Tengo todo. Digame, que qieres?“ (Was willst du? - Ich hab alles davon, sag mir, was willste?) -“Nada? Seguro?“ (Nichts? Sicher?). Klingt komisch, ist aber so! Wir laufen durchs romantische Cartagena, die kunterbunte Kolonialstadt beeindruckt mich auf den ersten Blick, ihr märchenhafter Charme mit überhängenden Balkonen, farbenfroh blühenden Bougainvillen und belebten Plätzen ist so lebendig. In kurzen eineinhalb Stunden flogen wir gestern von Panama City nach Cartagena (stimmungshebend: der vorzügliche chilenische Cabernet Sauvignon, kredenzt mit hochwertigen Nüsschen - der beste Flugzeug-Wein ever!).

Zuerst quartieren wir uns im vorgebuchten „Bella Vista“-Hotel (60.000 Pesos/24 Euro) am Strand ein, allerdings ist die Anlage zu schäbig, die Kakerlaken zu aufdringlich, die Ameisen zu fleißig - im Kontrast zum Personal - als dass wir bleiben wollen. Überdies ist der Fußweg ins Centro zu lang. Wir wechseln nach Besichtigung ins „Villa Colonial“ für ebenfalls 60.000 Pesos die Nacht im Herzen der City.

Da wir nun mittendrin sind laufen wir einfach drauf los und genießen die Atmosphäre der Stadt. Unmengen von fantastischen Cafes, Restaurants und Bars, die leider etwas teuer sind. Nicht so wie die Drogen. Die würden uns direkt nachgeschmissen werden. Weiß nun auch nicht, woran es liegt, aber ich persönlich wurde an meinem dritten Tag in der City bereits dreimal deswegen angesprochen...

Via Internet erfahren wir zurück im Hotel, dass sich unser Aufenthalt um einige Tage verlängern wird: das Schiff mit Vally hat am heutigen Montag noch nicht mal den Hafen von Colon verlassen – dabei sollte es laut Plan heute, Montag, 16. Mai um 14.30 in Cartagena eintrudeln.

Überraschung? - Pero no!

CARTAGENA II

Dienstag, 17.05.2011

Kultur und bipolare Lokale

Am nächsten Tag lasse ich mich treiben, wandle die entzückenden Calles entlang, durchkreuze grüne Plazas und gelbe Torbögen, bin hingerissen vom Flair der Stadt. Durch den gelben Rundbogen am Plaza de la Paz schreite ich dem Portal de Los Dulces entgegen, dort gibt’s Süßigkeiten, was das Herz begehrt. Als Starter für den Tag kaufe ich mir ein schleifchenförmiges Hefeteilchen, weil es mich in der Auslage so gelbglänzend anlacht. Oh, mh, es ist Konfitüre drin. Mein Marmeladenkrönchen! Es gibt schlechtere Tagesanfänge.

Die Sonne brennt, und ich weiß jetzt schon, dass es in so ungefähr einer Stunde wieder zu regnen anfangen wird. Wir sind leider schon mittendrin in der Rainy Season, die dieses Jahr ungewöhnlich früh startet. Genau aus diesem Grund kaufe ich mir einen „Sombrero Vueltiao“, einen bezaubernden Traditionshut mit ansehnlich-schwarzer Schleife beim vorbeilaufenden Verkäufer. Die 20.000 Pesos sind zwar schon die Hälfte von dem, was er zuerst haben wollte, trotzdem hab ich so ein Gefühl, zu viel bezahlt zu haben... Egal, nun hab ich einen prachtvollen Sonnen- und Regenschutz und spaziere frohgemut weiter zum Plaza del Premio Real.

Dort ist das Touristenbüro ansässig und ich kriege eine bunte Karte mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten geschenkt. Ich halte mich an den empfohlenen Rundweg und passiere das Museum Naval, San Pedro Claver, laufe die gleichnamige Straße entlang zum repräsentativen Plaza de Bolivar. Dort genehmige ich mir für 1000 Pesos einen Cafe auf die Hand, mein etwas älterer Straßen-Salesman hat seinen ganzen Bauchladen dabei, aus dreierlei Thermoskannen in selbstgebautem Holzträger bekomme ich gut schmeckenden Cafe „con azucar“ und auf die Hand noch ein leckeres Zuckerteilchen aus klebrigen Nüssen, die einzig und allein durch Karamell zusammengehalten werden.

Nach so viel Zucker bin ich glücklich und relaxe auf einem nicht gerade soo bequemen Holzbänkchen am Platze. Ich genieße den Blick auf die Statue und den Palacio de la Inquisicion, die Tauben flattern gurrend vorbei, Künstler malen bunte Bilder, Frauen schleifen ihre lachenden Kinder an der Hand hinterher, Rentner bummeln langsam hindurch, aber quatschen, was die schnelle Zunge hergibt.

Ein bisschen Kultur schadet ja nie, und so entschließe ich mich dazu, ins hier ansässige Goldmuseum, Museo del Oro zu gehen. Der Eintritt ist gratis, die Sammlung großartig. Ich lerne, dass Menschen sich schon immer gerne mit schmückendem Beiwerk behängen, das Kunst und Handwerk zur Menschheit gehört wie Sahne zur Waffel und dass der Homo Sapiens seit Urzeiten ein Bedürfnis nach individuellem Ausdruck und einen Hang zur Selbst-Verschönerung hat.

Weil ich eh grad so bildungstechnisch unterwegs bin, entscheide ich mich gleich noch dazu, gegenüber ins „Museo Cartagena de Indias“ im Palacio de la Inquisicion zu gehen. An der Aussenwand des Gebäudes gibt es ein Fensterchen in der Mauer, hier wurden „Verbrechen“ wie Hexerei, Magie und Blasphemie denunziiert.

Nach Bezahlen der 13.000 Pesos widme ich mich zuerst dem Ground Floor und erschaudere sofort. Genau hier wurden im Innenhof 700 Menschen hingerichtet. Am Fenster ums Eck wurden sie verpfiffen, im Gebäude über sie gerichtet, anschließend am Platz gefoltert, was das Rack hergab. Es sind Guillotinen ausgestellt, Hackebeile, Streckbänke, diverse Metall-quetscht-dich-ein-Maschinen und andere grausame Intrumente.

An der Wand hängt der Fragenkatalog für Hexen, hier die Best-ofs: „Warum wurdest Du eine Hexe? Wer sind Deine Verbündeten im Bösen? Welche Dämonen haben Deine Hochzeit begleitet? Welche Musik wurde auf Deiner Hochzeit gespielt? - und - Hast du dabei getanzt? Wie kannst du durch die Luft fliegen? Welche Worte sprichst du aus, wenn du fliegst? Fliegst du schnell? Kann das jeder lernen? Welche Würmer/ Kreaturen/ Raupen/ Nacktschnecken hast du geschaffen - und wie?“.
Außerdem auf dem Index standen Polygamie, Protestantismus, Judentum und - ja, natürlich - das Lesen verbotener Bücher. Im danach folgenden Patio stehen Kanonen sowie das Tribunal mit dem Hängeseil. Gruselig, mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter beim Gedanken daran, dass exakt an dieser Stelle Menschen bestialisch und höchstwarscheinlich unschuldig derart grauenvoll getötet wurden.

Trotz des heiß-schwülen Wetters fröstelt es mich und ich laufe schnell die Treppen hinauf zum nächsten Teil des Museums: die Historia Cartagenas. Dort werde ich wieder ein bisschen schlauer, erfahre etwas über die Entstehungsgeschichte des kolumbianischen Volkes, dass ein dreier-Mix aus indigenen Völkern, Europäern und von ihnen mitgebrachten afrikanischen Sklaven ist.

Zwischendrin ging´s drunter und drüber, die Spanier wollten die Macht, es gab schlimme Kriege und blutiges Abschlachten, doch relativ früh, schon im Jahre 1811, als Spanien wegen dem massiv kämpfenden, größenwahnsinnigen und kriegsfanatischen kleinen französischen Napoleon in einer mittelschweren Krise steckte, gelang es dem kolumbianischen Volk die absolute Unabhängigkeitserklärung von Spanien durchzusetzen.
Natürlich gab´s dann nochmal Krieg, Leiden und schlimme Zeiten, aber das war der Anfang des unabhängigen Kolumbiens. Besonders gefallen hat mir folgender Text:
„This is the same territory, where we live today, we who are the heirs of the Carib warriors, the men of the cross and the sword and the African drummers. We are the inhabitants of this piece of earth that borders of the „Sea of the Seven Colours“. We, who have been born here, who habe grown up here, who have cried over our dead and have been happy because happiness ist the most natural way for us and for our life and is what best identifies us in regard to other people on the face of the earth“

Nach so viel theoretischem Wissen genieße ich die praktische Freude draussen am Platz, schlürfe mit Wonne den zweiten Minicafe des Tages und suche ein Restaurant für heute Abend. Die Gaststätten scheinen multiple Persönlichkeiten zu besitzen, denn so ziemlich alle Lokale ändern abends ihre Gerichte und Namen - gerade in diesem Moment werden emsig Schilder und Karten ausgetauscht. Haben wir gestern zum Lunch noch unser Pizzastück bei „Pizzeria La Marco“ verschlungen, sehe ich nun an gleicher Stelle das „Indian Retaurant“. Egal, abends werden wir dorthineingehen, auf denselben hellen Holz-Stühlen vor blendend rotgrüner Patinawand sitzen, auf die so ganz und gar nicht indischen Heiligenbildchen von Christopherus, Jesus, Maria und Josef gucken, die Statue der heiligen Mutter Gottes wird kitschig schrill auf uns mit Milde herabblicken. Nur die Karte wird diesmal nicht mit gelben Pizza- und Spagehtti-Bildchen bedruckt sein, sondern mit Krishna-Illus und Curry-Reis.
Egal – geschmeckt hat´s beide Male.

Jedes Restaurant ist auf seine eigene Art und Weise einzigartig: liebevoll dekoriert, die Wände knallbunt oder pastellig fein gestrichen, mit Schriftzügen bemalt, diverse Spiegel, Bildchen, Art-Deko-Schmuck oder Heiligenstatuen, Gemälde und Pop-Art machen die kleinen Räume speziell.

Abends herrscht überall Trubel, Leute sitzen dank mildem Klima in kurzen Sachen auf den Straßen, oder in ihren Wohnzimmern, was keinen wirklich großen Unterschied macht. Die Holztüren stehen offen, nur durch Eisengitter wird die Intimsphäre des heimischen Sofas von der Aussenwelt getrennt. Eisentüre - Livingroom, nichts dazwischen. Ob ich will oder nicht, ich sehe kolumbianisches Familienleben, dampfende Schüsseln, schlingende Omas ohne Zähne, drehende Ventilatoren, laufende Fernseher, ausufernde Ehekräche, sexy Tangotänze, bunte Kindergeburtstage und laut-lustige Frauenrunden.

Pura Vida!

Wo Georg war? Ach so - er war am Hafen. Dort darf nur der Fahrzeug-Halter hinter die Sicherheitsabsperrung: unser Auto ist natürlich immer noch nicht da. Aber immerhin ist das Schiff mittlerweile auf dem Weg. Wenn alles gut geht, bekommen wir morgen das Auto. Juhu.

CARTAGENA III

Mittwoch, 18.05.2011

shopping-kultur-balance

Georg muss mal wieder zum Hafen, ich zum Shoppen. Ne, im Ernst...wir brauchen ein neues Harddrive als Back-up für den Computer, ausserdem dringend neue Fußabstreifer für´s Auto, das Duschgel ist aus und ein bisschen bummeln hat sowieso noch nie geschadet. So besichtige ich vormittags aus Gründen der gesund-ausgewogenen Shopping-Kultur-Balance erst die massive Festung aus dem 17.Jahrhundert am Berg rechts der historischen Altstadt, die „Fuerte San Felipe de Barajas“.

Des Spaniers größte Leistung: während ihrer Koloniezeit bauten sie hier die umfangreichste und mächtigste Bastion aller Zeiten, die als Folge dessen auch nie gestürmt wurde. Ein umfangreiches Tunnelsystem verbindet alle strategisch wichtigen Punkte der Festung, für damalige Verhältnisse ein architektonisches Wunderwerk. Ich laufe in schnellen 20 Minuten vom Herzen der City, von meinem Hotel aus über die Brücke, bin schwupps aber verschwitzt (35 Grad, 80% Luftfeuchtigkeit) da, zahle die teuren $13 Eintritt und bin mittendrin. Zwischen Kanonen, Moos, schwarzen Steinen und Tunnels. Nachdem ich noch den Ausblick zur Stadt genossen habe, nehme ich für 4000 Pesos ein Taxi zur Shoppingmall und gehe direkt ins nächste Elektronik-Fachgeschäft.

Mit dem Kauf des Harddrives bin ich stante pede erfolgreich, wenn es auch nur ein Einziges im ganzen Laden gibt. 650 Gigabite sind genug, und so zahle ich zufrieden die veranschlagten 300.000 Pesos. Fußabstreifer gibt’s für günstige 13.000 Pesos und das Duschgel war ja sowieso kein Problem. Noch ein süßes Oberteilchen eingepackt und wieder raus aus der großen Shoppingmall...

Mal sehen, was Georg heute so am Hafen getrieben hat...wird er MIT dem Auto ankommen??

Nein, leider nicht. Aber "manana", wird ihm fest versprochen. Gesehen, gestreichelt und probegesessen hat er Vally schon mal. Nur vom Schiff herunterfahren durfte er aus Zollgründen noch nicht.

Abends gehen wir alle zusammen typisch kolumbianisch essen, der Laden ist prall gefüllt mit einheimischen Leuten, so setzen wir uns dazu. Das grelle Grün an der Wand kommt gut mit dem Gelb des Alguila-Bier-Labels, fünf uralt-Ventilatoren schwirren polternd und unwuchtig über unseren Köpfen, machen uns Angst, aber auch kühle Luft. Als das Essen serviert wird, schlemmen wir drauf los und genießen die all-Inklusiv-Suppe und Pollo mit Bohnen, Salat, Reis und gebratener Platano.

Preisniveau: 7000 Pesos. Bierindex: 2000 Pesos. Stimmung: unbezahlbar.

CARTAGENA IV

Donnerstag, 19.05.2011

Problemitas
- but...with a little help
from luis de funes...

Laut neuesten Erkenntnissen ist es an „unserem“ Hafen nun doch erlaubt, als Begleitperson mit hinein zu gehen. Nachdem die Männer Tags zuvor große Schwierigkeiten in der Verständigung hatten, komme ich heute mit. Außerdem ist Georg der festen Überzeugung, ich wäre so ein Glückskind, nur mit mir klappe alles reibungslos.

Um 7.15 Uhr treffen wir uns in der Lobby und starten mit dem Taxi zum Hafen de Muelles. Georg, Espen und Alex wurde gesagt, heute „punto 8“ vor dem Zollbüro im Hafen zu warten. Wir sind pünktlich, trotz Sicherheitskontrolle, Abgeben unseres Reisepasses für den Besucherausweis und mehrfacher Durchsuchung unserer Taschen. So sitzen wir nun vor dem Büro des „Dian“ (Zoll) und warten. Und warten. Als um 9.00 Uhr immer noch kein Zollbeamter erscheint, fragen wir otra vez im Officina de Documentos nach. Maria meint, er müsse schon kommen, dann halt in „media hora“, einer halben Stunde. Wir warten. Keiner da. Ich gehe ins Büro neben dem Zoll und frage nach. „No. No esta aqui. El esta en otro puerto, creo que...“ (Nö. Nö, der Typ ist nicht da. Er arbeitet am anderen Hafen. Ich glaube so am 27.5. ist er wieder hier!). Was? Nicht wirklich jetzt, oder? Sollen wir noch eine ganze Woche hier in Cartagena wegen dem Zöllner verbringen. Das Auto ist ja da! Das lassen wir nicht auf uns sitzen und machen uns auf zum Büro der „Seaboard“-Verschiffungsagentur, die ist auf demselben Gelände. Nochmal ab durch die nächsten Sicherheitskontrollen, mit Durchleuchten unserer Taschen und allem Drum und Dran. Im Inneren des Hafens erzählt uns die Senora, „da kann sie jetzt auch nichts machen. Wenn er nicht da ist, ist er nicht da!“.

Ich setze mich auf die Treppe vor dem Büro – und denke. Was tun? Genau in dem Moment kommt die Rettung. Paco setzt sich neben mich. Würde mal sagen: Luis DeFunes-Großformat. Seine Halsschlagader beginnt comicartig zu pumpen, als ich ihm unsere Autogeschichte erzähle. "No es verdad!?" - „Das kann ja wohl nicht sein, dass wir nun schon den dritten Tag herkommen, und nun sei der Zöllner nicht da?!“, entnehme ich dem stakkato-spanisch, das seinem Mund entspringt. Sofort zückt er eins seiner drei Handy´s und blubbert drauf los. In rauher, sich beinah überschlagender, ultralauter Stimme bellt er ins arme I-Phone, legt auf, flucht „mierda“, wählt erneut, lässt Schimpftiraden ab und wird ganz rot im Gesicht. Weiß nun gar nicht, was ich davon halten soll, kenne ich Paco doch gar nicht. Wieso steigert sich der so rein, in unser Problem?

Doch da hält er mir schon seinen Ausweis unter die Nase, er macht sowas jeden Tag. Arbeitet bei einer Firma, die Autos exportiert, kennt sich aus, und grüßt jeden vorbeischlendernden Hafenarbeiter mit Namen. Zeitgleich fuchtelt er mit den Armen, genau wie sein französisches Pendant, telefoniert und sieht mich an und kramt einen Zettel heraus. Ein Multitasking-Talent. Die spitze Nase bebt etwas beim rauhen Schreien ins Handy, die braunen wachen Augen funkeln, irgendwie scheint er Spaß an der Sache zu haben. „Vamos, Vamos!“, komm, wir gehen, fordert er mich hektisch auf. Der „Inspector de Dian esta aqui!“, der Zollbeamte ist hier, auf dem Gelände. Er ist nicht im anderen Hafen, das ist alles Bullshit, erklärt Paco. „Wir kriegen das hin, seguro!“. So bin ich in guten Händen und wir laufen und laufen nervioso am Hafengelände herum, und können nur zwei andere Zöllner auftreiben, die allerdings nicht unsere Papiere haben. Der Dritte wär´s gewesen. Doch der ist verschwunden. Verdammt noch mal. So langsam kommt´s mir spanisch vor. Oder eher kolumbianisch? Bin ich lost in translation? Fragen über Fragen.

Naja, ich lasse Paco allein hyperventilieren und suche nach Georg und den anderen, gehe noch einmal zu Maria und schildere das Problem. Danach haben wir noch Martin an unserer Seite, der nun seinerseits nach dem "Inspector" sucht. Scheint er ja dann doch hier zu sein, wenn alle beginnen, nach ihm Ausschau zu halten. Oder hat nur keiner einen Schimmer?
Wie auch immer, Aufregen nützt ja nichts, und tut ja auch schon Paco für mich, so setze ich mich auf die Wartebank. Bald folgen die Jungs, und einträchtig warten wir auf die Rückkehr Pacos oder auch Martins aus den Unweiten des Hafengeländes. Und auf einmal geht alles sehr schnell...“Aqui, aqui! Rapido! Esta aqui, con el amarillo...!“ (Dort, dort drüben! Schnell! Er ist da, mit dem gelben Helm“. So laufe ich zum Zöllner, frage – und tatsächlich: er hat unsere Papiere! Heureka! Wir gehen erst zum Container von Espen und Alex. Die Beiden haben sich einen geteilt und lassen ihn nun im Beisein des Zolls und eines Sicherheitsbeamten öffnen. Böse Überraschung gleich zu Beginn: das Original verplombte Siegel wurde ersetzt durch ein anderes! Warum?

Sofort beginnt die Durchsuchung beider Fahrzeuge, aber zum Glück fehlt nichts, alles heile, hoffentlich wurde nicht ein Kilo Koks darin versteckt. Spaß jetzt. Also, hoffentlich.

Danach geht’s über das gesamte Gelände ins andere Eck zu unserem Flatrack. Per Bus fahren wir dorthin, bekommen auf dem Weg eine gratis Schicht Staubpuder auf den Teint geblasen und stehen bald danach froh grinsend vor Vally. Alles gut, dem Toyota fehlt auf den ersten Blick nichts, auch das Innere ist unversehrt.

Das Flatrack ist nur leider zu hoch, um einfach so herunterzufahren, so brauchen wir eine Rampe. Die ist leider im Moment nicht aufzufinden, auch nicht trotz Paco´s Wutausbruch, den Schrei kann man bis nach Panama hören. Ist nichts zu machen, wenigstens bekommen wir die Papiere vom Inspektor abgezeichnet. „Todo bien“.

Das Auto dürfen wir aber leider immer noch nicht aus dem Hafen fahren, denn zuvor muss der Zöllner das Papier im „Dian“ abgeben, unterzeichnen lassen und wir können es ab 14.00 Uhr wieder dort, im Stadtteil Manga abholen. Ist zwar nicht wirklich unser Weg, muss aber sein.

Nun ist es 11.45 Uhr und wir brauchen Essen. Die Unterzuckerung naht. Per Taxi fahren wir für 5000 Pesos zurück in die Stadt, essen zu Mittag und brechen um 13.30 Uhr wieder auf nach Manga. Dort soll Frau Sandra Nicolles die Papiere bereits fertig haben.

Im "Dian"-Gebäude sitzen wir nun in einer Wartehalle mit 20 weiteren Leuten und nichts geht voran. Frau Nicolle ist in Mittag oder sonstwo, uns wird gesagt, sonst kann das keiner unterschreiben. Also üben wir uns mal wieder in Geduld. Da fällt mir auf, dass im Spanischen das Wort „esperar“ warten, aber auch hoffen bedeutet.

Als die Senora um 15.00 Uhr immer noch nicht aus ihrer Pause erscheint, werden wir kollektiv nervös. Der Hafen schließt um 17.00 Uhr seine Türen für Besucher, wurde uns am Vormittag gesagt, wir brauchen allerdings noch die Versicherung für Kolumbien. Ohne Versicherung keine Hafenausfuhr. Ohne Dian-Papier keine Versicherung. Ohne Frau Nicolle gar nichts.

Ich frage bei der Sekretärin nach, erkläre nachdrücklich unser Zeit-Problem. Und plötzlich geht was, es gibt eine andere Lösung. Die Kollegin der Senora kann´s ja auch machen, fällt ihr aus dem Himmel heraus ein, und die wäre ja da. Moment, kommt mal mit. Und schon stehen wir im Büro, wo unsere Papiere unschuldig auf dem Tisch liegen. Die Kollegin haut ein Servus und einen Stempel drauf - und das war´s. Die Uhr sagt uns 15.30 Uhr an, und langsam wird’s knapp. Die Taxigebühren sprengen heute unser Traveller-Budget, aber zum Glück sind wir ja drei Parteien, so springen wir wieder in ein Cab und fahren den langen Weg zurück ins Centro, zum „Officina de Seguros“. „Wo fährt der denn hin?“, frägt Georg noch, da biegt unser Fahrer in eine Seitengasse, hält an einer Werkstatt – sein Vorderreifen ist platt. Seelenruhig lässt er trotz unseres Unmuts (und "no tenemos tiempo-Ausrufe") vorsorglich gleich mal alle Reifen aufpumpen und wir drehen am Rad. Aber auch das sitzen wir aus, und nach immerhin schlappen zehn luftigen Minuten geht’s weiter.

Vor dem am Vortag gescouteten Büro angekommen laufen wir die Treppen hoch, kommen hechelnd oben an, doch dort ticken die Uhren noch langsamer als sonstwo. In Zeitlupe holt Frau Merosta Papierbögen aus der Schublade, stellt stoisch Frage um Frage, tippt die Antworten muy despacio in den Computer und nennt den Endpreis für drei Monate KFZ-Versicherung: 145.000 Pesos. Zack, raus aus dem Büro, ins Taxi, diesmal die brisante Situation erklärt: „Rapido! No tenemos tiempo. Al Puerto, por Favor.“ (Schnell, wir haben keine Zeit. Zum Hafen, bitte). Das lässt sich unser Enrique Iglesias-Verschnitt nicht zweimal sagen und macht den Bleifuß. „Hat er überhaupt schon einen Führerschein?“, frage ich mich selbst, als ich sein junges beflaumtes Gesicht im Fahrerrückspiegel sehe. Er brettert mit 90 Km/H in der Innenstadt drauf los, selbst die 40er-Zone nimmt er mit sportlichen 85 Sachen. Und - wen interessieren schon Ampeln oder Zebrastreifen, für solchen Fälle gibt´s ja doch die Hupe! Zwei Beinah-Unfälle, aber immerhin nur 15 Minuten später stehen wir wieder vor dem Hafenbüro, Enrique hat uns einen kleinen Zeitvorsprung verschafft.

Im Officina kennen wir ja nun schon das Spiel, Reisepass abgeben, Durchsuchung etc., rein in den Hafen, „Andrea!“, tönt es da froh und rauh und laut. „Paco!“, rufe ich. Und da sitzt er, freut sich sichtlich uns zu sehen (ich weiß zwar nicht, warum, haben wir ihm doch nur Schwierigkeiten gemacht), und drängelt sich für uns vor zu Maria, der wir nun wiederum unsere abgestempelten Papiere aushändigen „Donde esta el papel de …?“ (Wo ist das Papier soundso...?), frägt sie uns stirnrunzelnd. „No! Todo listo. Tenemos todos los documentos. Seguro!“ (Nein, alles fertig, wir haben doch alle Dokumente. Sicher!“, platze ich da heraus. - Echt keine Ahnung, welches "Documento" jetzt wieder fehlen soll. Wir waren doch überall, echt wahr. Jetzt reisst mir dann doch mal der Faden. Da grinst Paco und bellt „Como un pantro!“. Wieder keine Ahnung was das ist, scheint aber was Gutes zu sein.

Da springt der Gute nochmal für uns in die Presche und raunt: „ach, komm schon, Maria. Ist doch egal...“. Maria zwinkert zurück und alles flutscht. Wir bekommen die Papiere zurück, Georg muss auf allen Durchschrieben unterzeichnen und seinen Fingerabdruck draufpampen, danach rennen wir zum anderen Hafenbüro, zeigen die Papiere und hoffen nun doch noch mit Vally den Hafen verlassen zu können. Es ist 16.55 Uhr.

Doch ganz so einfach geht’s dann auch wieder nicht. Die Ketten werden gelöst, doch nun brauchen wir eine Rampe. Das Flatrack ist viel zu hoch, aber immer noch keine Rampe da. Wir brauchen was anderes...Metallbretter? Holz? Mittlerweile hat sich eine Traube von Hafenarbeitern um uns versammelt, beteiligen sich mit Ideen. Irgendwas zum Unterlegen. Das kollektive Brainstorming ergibt: Holzlatten, die wurden gerade angeliefert. Der Gabelstapler bringt sie, viel sind´s nicht, aber es dürfte reichen. So schichten wir Latte um Latte, und - ich kann´s noch gar nicht fassen:

Es klappt! Georg fährt Vally geschmeidig langsam von dem Flatrack herunter, nichts passiert, Toyota heile und auf echtem kolumbianischem Boden. Nun müssen wir nur noch eine Endkontrolle absolvieren, wieder ein paar Papiere unterzeichnen lassen, unsere Reisepässe zurück aus dem Officina de Documentos holen – und dann, dann ist es geschafft!

Wir alle sind in Kolumbien! Ich umarme Paco, nein knutsche ihn fast ab, und dämlich grinsend verlassen wir den Hafen.

Listo (Fertig)! On the road again...

TAGANGA

Freitag, 20.05.2011

rein in die brÜhe!

„Wow! That´s weird. Feels like floating“, „A natural spa!“, „What a crazy feeling“, unsere Stimmen überschlagen sich. Eins ist klar: es ist sensationell! Wir patschen wie Kiddies im Schlammloch herum, es ist glitschig, sahnig, cremig. An der Oberfläche schwebend kann ich jegliche Position einnehmen, ohne unterzugehen, der Vulkanmatsch trägt mich, es fühlt sich an, wie in warmem Wachs zu gleiten, zu schweben - unter mir geht’s 1500 Meter in die Tiefe des Volcan de Lodo el Totumo.

Von Weitem sieht er aus, wie der größte Termitenhügel der Welt, inmitten des Flachlands bäumt sich ein Berglein auf, oben blubbert der Schlamm. Genau in dieser Öffnung liegen wir jetzt drin, nein, fläzen herum. Die Legende besagt, dass der Vulkan einst Lava und Feuer spukte, der lokale Priester aber nicht aufgab, des Teufels Werk zu vereiteln und über Monate hinweg Weihwasser an den Berg sprenkelte. Er war äußerst erfolgreich: nicht nur im Bekämpfen des Feuers, sondern auch im Ertränken des Teufels in der entstandenen Morastgrube. Tief unten muss also noch der Leichnam Luzifers brodeln, doch das stört mich nicht weiter, ich genieße die Mineralien, ihren therapeutischen und verschönernden Nutzen, pampe mir gleich noch eine Extraportion ins Gesicht...anschließend laufen wir wie die Geister den kurzen Weg zur Lagune und waschen uns die Schlammpackung vom Körper.

Wieder sauber und - natürlich - hauttechnisch um mindestens fünf Jahre verjüngert kraxeln wir zurück in unsere Autos, so ein Mud-Bath macht aber auch müde, ich könnte direkt ein paar Pommes essen und ins Bett gehen. Doch unser Weg führt nicht gleich in die Heia, sondern nach Taganga.

Laut Reiseführer kann man gar nicht so schnell „aj, carajo“ sagen, wie die Amerikaner hier ins Dorf einfielen und Hostels eröffneten. Wie auch immer, die hufeisenförmige Bay soll eine der schönsten Buchten Kolumbiens sein, „pittoresk“, so der blumige Ausdruck. Also fahren wir über mautpflichtige Straßen durch die Citys La Boquilla, Baranquillo und El Rodadero, passieren viele Wellblechhütten, überholen zwölf Esel- und drei Pferdekarren, durchkreuzen Santa Marta und kommen bei schwachem Sonnenlicht am Supermercado Exito in der Stadt an. Einkaufen, aber rapido: das Übliche, Nudeln, Gemüse, Obst, Käse, Reis, Hühnchen, Milch, Toast, Wasser: 80 Dollar – wir sind erschrocken über die teueren Preise. Beinahe deutsches, heimatliches Preisniveau hier. Doch wir haben keine Zeit mehr, brauchen noch eine Unterkunft, respektive Campground, oder einfach einen sicheren Platz zum Stehen. Zwar sind wir im Besitz einiger GPS-Koordinaten über Restaurant-Parkplätze in Taganga, doch Genaues wissen wir nicht.

Nun hat sich die Sonne endgültig auf die andere Seite der Weltkugel verabschiedet, bei völliger Dunkelheit tapsen wir mit den Autos durch Santa Marta, eine Stadt mit 410.000 Einwohnern. Vielleicht nicht gerade die beste Idee, nein eigentlich genau das, was man auf jeden Fall vermeiden sollte: ohne Plan einfach mal nachts durch irgendwelche Viertel Kolumbiens zu cruisen. Ein Blick nach draußen gibt meinem mulmigen Gefühl recht.

Von Anfängerfehler kann nach zehn Monaten eigentlich nicht mehr die Rede sein, doch wir hatten keine Wahl. Wir fahren durch halbseidene Gegenden, Häuser sind vergittert, Menschen torkeln den Gehweg entlang, Männer haben Flaschen, Joints und Päckchen in der Hand, Frauen Perücken auf dem Kopf. Oder sind es gar keine Frauen? Vielleicht eher „Chicas con sorpresas“ (Mädchen mit Überraschungen)?

Wir düsen durch laute, quirlige Ghettos, in denen der Bär steppt, über verrostete Zugschienen, wabernde diffuse Kneipenviertel und bewachte Reihenhaussiedlungen bis nach Taganga. Die unbeleuchtete Küstenstraße führt einen Berg hinab in die Stadt und vor uns ausgebreitet liegen die Lichterketten der Stadt. Die Horseshoe-Bay schmiegt sich sanft daran, das nachtblaue Meer glitzert wie zersplitterte Straßsteinchen. Gleich bei der Einfahrt sehe ich links eine Tauchschule, einen ummauerten Parkplatz mit der Aufschrift „Accomodation“ (Unterkunft), wir aber folgen unseren Garmin-Koordinaten und fahren ins Zentrum, dort soll das Restaurant „Dolfin“ sein, mit bewachtem Parkplatz. Erst fahren wir noch andere, näher gelegene Hostels an, doch keins hat einen Parkplatz. Mittlerweile ist es stockfinster und wir sind dazu übergegangen, die hier wieder normalen Leute nach möglichem Seguridad-Parqueo in der Stadt zu fragen.

Es dauert nicht lange und wir werden belagert von Männern, die uns alle einen Parkplatz anbieten. Oder mit uns zu einem fahren wollen – in unserem Auto. Das wollen wir nicht und machen uns weiter auf die Suche nach dem empfohlenen „Dolfin“ - das finden wir dann auch, doch leider ist das Eingangstor zu niedrig und wir haben keine Chance den Platz zu befahren.

Also noch eine Runde durch die City, die Buena-Vista-Social-Club-Musik dröhnt, was die Box hergibt, jedermann sitzt draußen, Männer spielen Karten, trinken Whiskey, Frauen ratschen, Kinder spielen Verkleiden. Die Mädchen sind Prinzessinnen und Models, stolzieren wie die Großen, kokettieren keck mit Blicken und Gesten - mit geschätzten Fünf! Die Jungs sind bereits siebenjährig Mr. Groove, bewegen die Becken geschmeidig kreisend zur Musik, legen die Arme großspurig um die Prinzessinnen, die sich hineinschmiegen.

Am Ende können wir doch am Parkplatz besagter Tauchschule nächtigen. Caramba, das war aber last minute...Buenas Noches!

OCANA

Dienstag, 24.05.2011

Una dia de suerte en ocana
(glÜckstag in ocana)

„Aqui! Mira! Andrrrea, alli! Mira, mira!“, neun Finger schnellen in die Höhe und zeigen auf ein Monument, danach auf einen Park, dann wieder auf eine Iglesia. Zwischendrin springen die Jungs aus dem Pick-up, laufen zu uns und sprudeln los: ein babylonisches Stimmengewirr: „Andrrrea, Viste?“ „Andrrrea - adonde quieren ir de aqui? Ahora? Andrrrea, hay otro monumento...Quieren ver? Es hermoso, Andrrea. Habla con ellos! Si, si...Vamos alli“.

Uns wird ein ganzer exklusiver Tag mit Pacho, Oscar, Serbio, Alvaro, Camilo, Juan, Pablo, Luisa und Raul geschenkt. Un dia mirifico y impagable (Wundervoll und unbezahlbar)!

Gestern abend erreichten wir die 85.000 Einwohner zählende Stadt Ocana. Acht Stunden brauchten wir für 470 km vom Playa de Naranja hierher. Dort waren wir noch ein letztes Mal schwimmen im angenehm warmem Meer, lagen sonnenbadend in der kuscheligen Hängematte, genossen Hitze, Sandstrand und die hohen Palmen und – ach, ja: starben beinahe einen nächtlichen Kokosnuß-Tod. Also ich.

Von der im Tiefland verlaufenden Straße zwischen Santa Marta und Bucaramanga zweigen wir in eine serpentinenreiche Zufahrt Richtung Ocana ab. Hinter jeder Kurve wartet ein neuer spektakulärer Blick auf die von den Elementen tief in die Landschaft eingeschnittenen Täler. Eine Symphonie in Grün mit irrer Tiefenschärfe!

Wieder mal bei Dunkelheit erreichen wir die Stadt Ocana. Im Zentrum versuchen wir das vorgemerkte Hotel zu finden, leider hat es geschlossen. Auf der Suche nach einem bewachten Parkplatz cruisen wir zweimal um den Marktplatz, dreimal die Hauptstraße entlang und bemerken irgendwann: es folgt uns ein weißer Pick-up. Seit cirka zehn Minuten sehen wir ihn im Rückspiegel. Hilft nichts, wir müssen uns besprechen, Espen biegt auf einen Parkplatz, Alex hinterher, wir folgen. Der weiße Pick-up auch. Sobald wir parken, sind wir umringt von einer Gruppe Kolumbianer, synchron zücken sie ihr Handy filmen und fotografieren uns und die Autos. Sie sprudeln drauf los:
„Que hacen aqui? De donde son? Es un viaje? Una aventura?“ und noch etwas über zweitausend Worte mehr, die ich nicht verstehe.

Nach fünfzehn Minuten wird klar: die Jungs wollen uns helfen, leider wissen sie auch keinen sicheren Parkplatz in der Stadt, nichts ist bewacht, und eins ist klar: „Aqui? No! No es seguro aqui!“ (hier ist es nicht sicher). Juan´s Eltern besitzen einen „Campo“, keine zwanzig Minuten von hier, erzählen sie wild durcheinander, dort könnten wir die Nacht verbringen „No, problema! Es seguro. Con una porta. Si, si, seguro, Claro, que si! Podemos monstrar ustedes!“. (Dort ist es sicher, mit einem Tor, ja, ja, sicher, ganz klar! Wir können es euch zeigen!). Es ist etwas schwierig, sie alle zu verstehen, und da ich als Einzige unserer Gruppe spanisch spreche, versuche ich zu übersetzen und ein Gefühl für die Situation zu bekommen. Meine innere Stimme schlägt keinen Alarm, manchmal brüllt sie mich in solchen Momenten von tief drinnen an. Diesmal aber: Stille. Ich höre nochmal gründlich intensiv hinein...doch: nichts.

So fahren wir bei stockdunkler Nacht dem Pickup mit den neun Typen hinterher, vier Autos über Stock und über Stein, bis wir in einen Feldweg abbiegen. Nur die Lichtkegel unserer Autos erhellen den matschigen Dschungelweg. Und tatsächlich: als wir abbiegen, befinden wir uns inmitten einer Pferdekoppel, die Fohlen wiehern, die Stuten galoppieren – Störung zu nächtlicher Stunde. Der Campo entpuppt sich als idealer Stellplatz, ruhig, abgelegen, es ist ein Bauernhof, sogar Toilette und Licht gibt’s. Kurz nach dem Einparken streckt eine Baby-Anaconda ihren Kopf aus unserer Felge, eine Kröte versucht ins Auto zu springen, Grillen, Frösche und Dragonflies geben ihr Bestes, uns zu erschrecken. Doch wir verbringen eine feucht-fröhliche Nacht, denn die Jungs sind wahre Gastgeber.

Für Morgen lassen sie es sich nicht nehmen, uns ihre Stadt zu zeigen. Wir händigen die in Cartagena frisch gedruckten Visitenkarten mit unserem Blog-Namen aus und freuen uns auf den nächsten Tag.

Morgens, halbpünktlich um 9.30 Uhr holen sie uns ab, begleiten uns zum hiesigen Nationalpark „Los Estoraques“. Ein klein wenig wie Mini-Bryce-Canyon stehen die mächtigen Felsformationen da. Wir lachen uns die Wanderung über kaputt, die Jungs sind divertido (lustig) y bromido (spaßig) und ich höre im Stakkato „Andrrrea, Andrrrea“, mit endlos rollendem Rrrr. Claro, bin ja auch die Traductora, also Ansprechpartnerin. Nach zwei Stunden und dreihundertzwei „Andrrrea´s“ kann ich mir ein Grinsen nicht mehr verkneifen. Zwischendrin machen wir an die 200 Fotos, mit der Gruppe, hüpfend, posierend, lachend - und „por favor! Otro foto! Aqui, Andrrreea y los otros, aquiii!“.

„Andrrrea. Mira!“- Juan und Pablo halten mir ihre Blackberries vor die Nase, ich kann es kaum fassen: sie beide haben unseren gesamten Blog heruntergeladen und zeigen mir nun Fotos von uns in Mexico. „Donde esta el bus naranjo?“ (Wo ist der orange Bus?). Erst bin ich verdutzt, aber dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen: „Lottie“. Ja klar, sie haben die kompletten Fotos gecheckt und vermissen Isabell und Francesco in unserer Reisegruppe. Sicher ist: wir haben neue Fans. Oder Andy Warhol entsprechend feiern wil hier keine „15 Minutes“, but „15 hours of fame“.

Mit ihnen drehen wir stolze dreizehn Runden durch die Stadt, die Chicos auf der Ladefläche deuten mit dem Finger nach hinten, auf uns und formen die Worte „Amigos, Alemania!“, wenn wir die Nachbarn passieren, die uns alle fröhlich lachend zuwinken und „Alemania, Alemania“ rufen. Zwischendrin gehen wir Essen, Cafe trinken, Diesel beim Nachbarn (dem Spritmeister) am Straßenrand auffüllen und besuchen den Wallfahrtsort der „Santuario del Agua de la Virgen“, fahren wieder zurück ins Zentrum, besichtigen den „Complejo Histórico de la Gran Convención“, die „Columna de la Libertad de los Esclavos“ und machen unverhofft einen Total-Stopp - inmitten der zweispurigen vielbefahrenen Hauptstraße im Zentum Ocanas.

Fünf Polizisten stehen da, beobachten unsere Karawane. Doch wir sollen halten, bedeuten uns Pacho und Co. „Andrrrea, Andrrrea, mira, alli esta la panaderia, a la izquierda!“ (dort ist die Bäckerei, links – ich hatte den Besuch einer vorgeschlagen, doch so dringend wäre der Kuchen dann auch nicht gewesen). So bleiben wir zwecks Törtchen an der verkehrsungünstigsten Stelle der gesamten Stadt im aboluten Halteverbot stehen.

Doch die Polizei scheint es nicht wirklich zu stören. Einer der fünf läuft seiner Freundin hinterher, die ihn hoch erhobenen Kopfes wüst über den Rücken nach hinten beschimpft, ein anderer ist schwer damit beschäftigt eine wichtige SMS zu tippen, einer hängt quasselnd an der Strippe und die zwei übrigen schlendern langsam zu uns herüber. Nach einer kurzen spanischen Worttirade steht fest: „No problema!“ - wir dürfen stehenbleiben - sind wir doch Touristen. Und überhaupt die Sensation in der Stadt.

Pacho und Co haben bereits die gesamte Situation mit gewissen Stolz erklärt, sodass sich nun eine Traube von Menschen um uns bildet, die unsere Reise „chimbissimo“ (oder so, keine Ahnung) findet. Anscheinend toll. Jedenfalls stellen sie Fragen über Fragen, doch mittlerweile ist Oscar schon Profi und beantwortet cool und gelassen alle Preguntas bezüglich unserer Reise. Nicht, ohne zwischendrin lässig ein „son nuestros amigos de Alemania“ fallen zu lassen.

Den gesamten Tag verbringen wir zusammen, besichtigen jedes einzelne Monument der Stadt und drehen abends um 21.30 Uhr im Laternenschein noch eine letzte Runde um den Fußballplatz (das Spiel wird unterbrochen), bis wir wieder am Campo ankommen. Dort ist bereits der Tisch gedeckt, Mama Pacho hat für uns „Carne de Res“ gekocht, mit „tomate und cebolla“, dazu gibt’s handgemachte Arepas, die Maistortillas Kolumbiens. „Son delicioso, no?! Andrrrea...es typico comida columbia, Andrrrea“. So oft wie an diesem Tag habe ich zwar noch nie meinen Namen gehört, doch mir gefällt´s, und nun sind wir um eine wahre Erfahrung reicher: die Gastfreundschaft der Kolumbier ist tatsächlich überwältigend!

„Andrrrrea! Buena viaje! Mucha suerte y adios – vuelvan pronto!“

Mis amigos - si leen eso: muchas gracias por el dia fantastico!
Me agradó mucho nuestro dia!

BARICHARA + SANTA MARTA

Donnerstag, 26.05.2011

kein acpm, dafÜr Wasser ohne Ende

Bald sitzen wir auf dem Trockenen. Nein, diesmal handelt es sich nicht um Alkohol, der uns fehlt, das wäre weitaus weniger dramatisch. Wir können keine Tankstelle mit Diesel finden. „No hay ACPM“, diese Schilder stehen an jeder einzelnen Tanke von Ocana bis ins Tal. Uns bleibt nichts anderes übrig, als nach Aquachica zurück zu fahren. Und dort, zum Glück, finden wir die einzige Stelle im Ort, die uns Sprit verkaufen kann. Gerade noch rechtzeitig, Espen und Marlins Anzeige leuchtet schon dunkelrot. Frisch aufgetankt, gut gestärkt und frohen Mutes machen wir uns auf den Weg nach Barichara.

Ein Blick in die Tageszeitung verrät nichts Gutes: wegen diverser Überschwemmungen und damit verbundenen Erdrutschen ist im Moment die Hauptverkehrsstraße gesperrt. Es gibt keine Brücke mehr! Aber das Militär arbeitet unter Hochdruck am Bau einer Neuen, und nach einer Zwangspause entlang des Weges (Stellplatz $ 10.000 im Balneario Rio Negro) kommen wir genau zur rechten Zeit an. Es ist heftig und unwirklich, Häuser wurden von den Wassermassen mit Leichtigkeit weggespült, nur noch ein paar Grundmauern des Dorfes stehen, Stahlträger der Brücke liegen verstreut im Schlamm, das ehemalige Viadukt liegt zerbröselt im Fluss, umspült von den Fluten. Wie Ameisen laufen die Männer vom Militär umher, tragen Sandsäcke, Holzpfähle und Ziegelsteine, mischen Beton, schaufeln Unmengen an Schlamm aus dem Weg, bauen einen Umweg.

Sieben Stunden brauchen wir für die 120 Km, fahren durch Berge und Canyons, sehen unheimlich viele gelb gemalte „Sterne“ auf der Straße – und nach einer Zeit das Schild „No mas Estrellas en la Via!“ (Nicht mehr Sterne mehr auf den Straßen): Jeder Stern symbolisiert einen Verkehrstoten. Wir schlucken, drosseln das Tempo und fahren fünf Minuten schweigend weiter.

Nach einer Nacht in San Gil (wieder Balneario, „Posada Azul“, $ 7000) erreichen wir die grandiose Kolonialstadt Barichara. Der Name der 10.000 Einwohner reichen Stadt stammt aus der Guane-Sprache (Ureinwohner Kolumbiens) „barachalá“ - „a good place to rest“. Das stimmt, wir fühlen uns sofort wohl, die Menschen sind freundlich, grüßen uns Gringos herzlich und überhaupt scheint hier die Zeit stehengeblieben zu sein. Antikes Kopfsteinpflaster, schmale Gässchen, pompöse Kirchen, Gebäude im Barequestil (Pfostenhausbauweise) eingetaucht in rotgelbe Farbharmonien. Eingebettet in eine irreale Landschaft, die ockergehaltene Umgebung wird unterbrochen von grün gesprenkelter Erde, weit unten schlängelt sich der stattliche Suarez-Fluss blauglänzend durch das Tal. Vom Mirador bei der Iglesia Santa Barbara haben wir einen überwältigenden Rundumblick.

Kein Wunder, dass hier der Schauplatz vieler südamerikanischer Telenovelas ist: verträumter, idyllischer und malerischer geht’s ja kaum. Seufz. Und schluck. Muy romantico!

VILLA DE LEYVA

Sonntag, 29.05.2011

abenteuerluft, tinto
und schmucke Architektur

Lust auf Abenteuerluft drängt uns dazu, ein wenig abseits der touristischen Pfade zu wandeln, wir biegen von der Hauptstraße ab in einen Feldweg, holpern von Galan bis nach Berlin. So kommen wir an rustikalen Bergdörfern vorbei, in denen die Zeit stehengeblieben ist, wie es scheint.

Die Männer tragen dunkle Anzüge und Lederhüte aus dem vorigen Jahrhundert, haben die Machete griffbereit und den Schnauzer gestutzt. Für uns gibt’s hier kein Lächeln, kein Winken und keine „Alemania“-Rufe, wie in der Stadt, hier bleibt man nur stehen, hält inne - was auch immer man gerade tut - und schaut unseren Fahrzeugen mit offenem Mund hinterher. Die Kinder verstecken sich vor uns, die Frauen laufen in die Häuser. Im Lonely Planet habe ich mich kurz vorher noch schlau gemacht, denn es gibt sie tatsächlich noch: Paramilitaries und Guerillas halten sich immer noch in einigen Teilen Kolumbiens in den Bergen versteckt.

Doch das sollte eher im Hochland, in Teilen der Chocó-Gegend und im tiefen dichten Dschungel östlich der Anden der Fall sein. Dorthin sollte man sich als Tourist besser nicht verirren, die alte Praktik „Kidnapping zu politischen und monitären Zwecken“ wird weiterhin geübt. Bei uns aber sieht alles nach großem Spaß aus: wir durchqueren rauschende Flüsse, erklimmen steile Berghänge, rumpeln über große Steine, rutschigen Matsch, sehen tief abfallende Wasserfälle, wilde blaue Papageien und bunte Pfaue und verlieren uns beinahe im endlosen Grün der majestätischen Täler um uns herum.

Am Ende des Tages kommen wir durchgeschüttelt, aber glücklich in der Kolonialstadt „Villa de Leyva“ an. Wie in einer Zeitmaschine sind wir ins Jahr 1572 zurückgereist, das Städtchen scheint eingefroren ab diesem Punkt. Wir bummeln durch die kopfsteingepflasterten Gässchen, trinken einen Tinto (schwarzer Cafe), genießen die lokale zuckersüße Delikatess-Kalorienbombe „besos de novia“ (Küsse der Freundin), drehen eine Runde über den bunten Markt und decken uns mit allerlei Köstlichkeiten von Mango bis Maracuja ein.

Fest steht schon jetzt: Kolumbien ist der Überraschungsknaller der bisherigen Reise! Welch ein großartiges Land - wir sind verzückt!

BOGOTA

Montag, 30.05.2011

augen rot, knie blau, kopf voll

Was soll ich nur schreiben? Bogota. Ich sitze vor dem Rechner, starre die Tastatur an, grüble und überlege, was ich über diese laute, dreckige, unangenehme Stadt schreiben könnte. Die erste Schreibblockade der Reise. Nun ja, fang ich mal an: die Luftverschmutzung färbte meine Augen rot, meine Lungen schwarz und meine Seele melancholisch blau.

Mein Knie schwoll an, nein, nicht aufgrund der dreckigen Luft, sondern wegen all der Löcher im Bordstein. Klingt komisch, ist aber so. Da Junkies alle Kanaldeckel stehlen um das Metall zu „verpulvern“, im wahrsten Sinne des Wortes, muss man höllisch aufpassen in keine Leerstelle zu treten. Eine Sekunde nicht aufgepasst, schon bin ich einen halben Meter kleiner, eingesunken im Asphalt. Dabei noch ein Riesenglück gehabt und nichts wirklich Schlimmes ist passiert.

Wir wohnen im Backpacker Hostel „Cranky Croc“ im Candeleria Bezirk (20.000 Pesos/Person), können drei Nächte lang in unserem 10er-Dorm nicht mal zwei Stunden am Stück durchschlafen – erstens ist es scheißkalt, zweitens schnarcht oder dreht sich immer einer, drittens kommen die anderen zwischen zwei und sechs Uhr im Stundenabstand von Parties zurück, fangen danach kokain- und alkoholgeschwängert an zu diskutieren, zu telefonieren, zu schreien, beginnen mit Heulen, Toben, Türenknallen, parfümieren sich mit der kompletten Flasche, Duschen pfeifend und Streiten anschließend wutentbrannt. Soll wirklich jeder auf dieser Welt tun, was er will – solange kein anderer dabei zu Schaden kommt. Passiert hier aber: Ich bekomm hier nämlich noch einen Mega-Schaden, das ist mal gewiss!

Zurück zur Stadt. Einzig und allein vom Botero-Museum war ich tatsächlich begeistert: neben Picasso´s, Dali's, Beckstein's, Matisse's, Monet's und natürlich überdimensionalen üppigen Botero's gibt’s viel moderne Kunst zu bewundern, brandaktuelle Installationen und Skulpturen sind ein Augenschmaus. Und das alles for free!
Um jetzt nicht alles ausser dem Museum schlecht zu machen: atmosphärische Restaurants und Cafes gibt’s in Hülle und Fülle, einige alte Kirchen sind sehr sehenswert, vor allem im starken Kontrast zu direkt danebenstehenden futuristischen, verglasten Gebäuden. Wir essen und trinken gut, genießen den hier typischen Snack Käsestange zu heißer Schokolade, schlemmen uns durch Panaderien, gehen aus und sind dann wieder RAUS!

SALENTO

Donnerstag, 02.06.2011

guerillakÄmpfe, nervenkrieg
und ein kleines Tor

Auf dem Weg nach Salento, in der „Zona Cafeteria“, dem Kaffeedreieck rund um Armenia, fahren wir durch die schönen, immergünen Highlands Kolumbiens. Kurz vor dem Bergpass biegen wir um eine Kurve – und: Stehen. Vor uns eine kilometerlange LKW-Schlange. Stillstand. Nichts geht. Eineinhalb Stunden lang. Wir warten. Um zu sehen, was da vorne los ist, steige ich aus und laufe. Und laufe. Und laufe. Trucks über Trucks. Ganz vorne sehe ich Militär. Ich gehe hin. Hunderte Soldaten stehen da, bis an die Zähne bewaffnet, dick gepanzerte Wagen an den Seiten.

Aus Ungeduld und Neugierde frage ich nach und erstarre bei der Antwort Sergios: „Hay Guerillas...“ , er fährt fort: „En este momento...Im Moment gibt es Guerillakämpfe hier in den Bergen, wir (das Militär) schlagen zurück, ein bisschen wird es noch dauern, dann dürft ihr nur im Konvoi den Pass befahren“. „Ok“, murmle ich „kein Problem...wir warten.“- und denke „oh, Scheisse! Guerillas genau hier. Fuck!“. Doch Umdrehen ist nicht mehr, fahren wir doch schon fünf Stunden in diese Richtung. So laufe ich wieder zurück zu Georg, an der großen LKW-Schlange vorbei, erreiche ihn schnaufend vor Anstrengung und Aufregung.

Nach einer warteintensiven weiteren halben Stunde setzt sich der Konvoi in Bewegung, wir fahren über die Berge. Die Nerven liegen bei den meisten Fahrern jedoch blank und so werden waghalsige Überholmanöver gestartet, ein paar Auffahrunfälle passieren, die Leute schreien sich an. Doch so hatten wir wenigstens Zeit, die wunderbare, schier endlose grünhügelige, sich traumhaft schlängelnde Landschaft zu bestaunen.

Abends 18:15 Uhr, nach vollen elf Fahrstunden erreichen wir schlussendlich Salento, biegen ein zum empfohlenen Backpacker „La Serrana“ und sind entsetzt: das Tor ist zu klein! Wir passen da nicht hinein. Doch die Sonne geht gerade unter, ein anderer Platz ist von hier aus schwer zu erreichen.

Ich gehe den kleinen Berg hinauf zur Rezeption, lasse meinen Blick nach links schweifen und bin bezaubert: nicht nur, dass es eine zweite für uns passende Einfahrt gibt, nein, die untergehende Sonne wirft rote Lichtspots auf die hellgrünen satten Wiesen, der dicke Wolkennebel liegt schwer über den Bergen, ein Pferd steht still auf der Weide, hinter ihm der glühende rote Punkt inmitten der blauen Berge...was will man mehr?

SALENTO II

Freitag, 03.06.2011

coffee and more

Am nächsten Morgen treffen wir unsere Freunde Zoe und Ali wieder! Wir freuen uns sehr, denn in Uvita, Costa Rica haben wir mit den beiden eine tolle Woche verbracht. Ihnen bleiben noch zwei knappe Wochen und der einjährige Südamerika-Trip hat ein Ende. Wir essen zusammen, ratschen, quatschen und lachen, genießen das unerwartete Wiedersehen und beschließen, zusammen zur Kaffeefarm zu gehen.

Bei Las Brisas sind wir in den richtigen Händen. Der Dueno Elias höchstpersönlich führt uns durch seine Plantage. Herr Brisa ist geschätzte achtzig Jahre alt und wandelt für sein Alter erstaunlich fit durch die Berge. Da schnaufen, hecheln und ächzen wir aufgrund der ungewöhnlichen Höhe von 2700 Metern schon mehr hinter ihm her.

Wir sehen grüne, noch junge Früchte versteckt unter den harten dunkelgrünen spitzen Blättern an den Kaffeesträuchern hängen, dazwischen auch einige reife rote Arabica-Beeren. Mit geübtem Griff zupft Senor Brisa die blutroten Kugeln, schmeißt sie in den neckisch um die Hüfte gebundenen Bastkorb. Hie und da greift er sich neue Beeren, ab ins Körbchen, zwischendrin zeigt er auf Platano-und Bananenstauden auf seiner nur 4-Hektar-großen Farm. Als er genügend Beerchen gesammelt hat, gibt er jedem von uns eine. Wie er quetschen wir nun den Kern heraus und sehen: die Kaffeebohne. Hellbeige, fast weiß liegt sie in unseren Händen. So werden die Bohnen zum Trocknen in die Sonne gelegt. Sechs Tage lang verlieren sie an Feuchtigkeit und in diesem Zustand werden sie an die großen Händler geliefert, Coffee Companys, Starbucks, Tschibo und Co. Getrocknet ist die Bohne monatelang haltbar und kann danach al Gusto weiterverarbeitet werden. Nun muss nur noch die harte Schale abgerieben werden, dann natürlich maschinell. Zum Vorschein kommt ein maronenbrauner, zweigeteilter Kern, der nun nur noch geröstet werden muss: fertig ist die dunkle, duftend verführerische Kaffeebohne, wie wir sie kennen. Auf zur Mühle, ab in den Filter, rein in die Tasse!

SALENTO II

Samstag, 04.06.2011

die milch macht´s

Und weil wir ja im Dauerurlaub sind, macht mir auch 5:00 Uhr-Früh-Aufstehen heute ausnahmsweise mal nichts aus. Kleiner Spaß! - Aber was tut man nicht alles für die Erweiterung seines Erfahrungsschatzes: Kühemelken steht auf dem Programm. Ist mir zwar ein Rätsel, wieso das ausschließlich, allein und nur so verdammt früh geht, aber die einhellige Antwort war: Ist eben so.

Ist ja nicht so, dass ich es nicht hinausschieben wollte, auf, naja, sagen wir mal, vielleicht 8:00 Uhr? Doch Bauer Suarra fand das gar nicht lustig und bedeutete mir in Gestik sowas wie: dann platzt die Kuh.

Also gut, stehe ich eben um 4:45 Uhr auf, treffe Zoe vor dem Zaun, wir wandeln im Dunklen den glitschigen Weg (Regenmassen über Nacht) hinunter zum Stall immer dem lauten Muhen hinterher. Noch schlaftrunken öffne ich zusammen das Tor und erschrecke: vor mir steht ein Bulle an Vieh. Eine etwa zwei Meter große männliche Kuh mit dicken wabbelndem Buckel auf dem Rücken. Der erschrickt genauso vor mir wie ich vor ihm und wir beiden stehen kurz vor dem Herzinfarkt. Er muht, ich schreie.

Sofort ist Bauer Manuelo Suarra da und trennt uns. Zoe kriegt sich nicht mehr ein vor Lachen. Nun aber zur Arbeit, bedeutet Manuelo, kein Spaß, die Kühe stehen schon Spalier. Zum Glück für uns bindet er unserer Beispiel-Kuh die hinteren Beine zusammen, sodass sie nicht nach uns Anfängern treten kann. Ich bekomme einen roten Eimer in die Hand, einen unbequemen Holzschemel, der irgendwie nicht stehen will unter meinen Hintern, Manuelo lässt sich meine Fingernägel zeigen, nicht dass ich die Kuh mit meinen Städterkrallen verhunze und erklärt mir das Melken.

So sitze ich nun vor dem warmen, prallen Euter und versuche sanft, aber mit Nachdruck etwas Milch herauszubekommen. Es ist so strange, so merkwürdig und so komisch. An der Kuh zu ziehen! Erst mal geht gar nichts. Bauer Manuelo kommt, grinst und meint „Duro! Duro!“. Ich muss also die arme Kuh noch stärker drücken - und siehe da: es prasselt in den Eimer, hey, ich habs raus! Eins, zwei, eins, zwei, im Rhythmus melke ich vor mich hin und der Eimer füllt sich immer mehr. Stolz zeige ich dem Bauern meinen halbvollen Eimer. Der lacht wieder und deutet auf seine Arbeit, grinst über beide rote Bäckchen und deutet hinter sich. Während meiner Melkzeit hat er drei Behälter gefüllt!

Das muss aber eine Speed-Kuh sein, bei ihm, vielleicht ist meine ja nur so alt, denke ich. Da setzt sich Suarra vor „meine“ Kuh und entnimmt ihr nochmal einen vollen Eimer. Glücklich über so viel morgendliche Gesellschaft im Stall wird Manuelo kommunikativ, scherzt und lacht, gesteht, wie glücklich er sei, hier in den Bergen bei seinen Kühen leben zu können, diese Arbeit hier zu verrichten stimmt ihn fröhlich und zufrieden.

Ob wir mal kosten wollen? Schwupps, hat er auch schon eine Tasse in die noch körperwarme Milch getaucht und randvoll gefüllt. Erwartungsvoll freudig hält er mir sie vor die Nase: „Es rico! Delicioso! Probarlo!“ (Ist reichaltig, lecker, probier!). Erst bin ich unsicher, denn sollte man frische Milch vom Bauern nicht erst mal pasteurisieren, abkochen, die Bakterien vom Euter und dem Eimer und was-weiss-ich-von-was abtöten? Hat das nicht einen wichtigen Grund? Doch Manuel sieht mir so stolz über seine Kühe in die Augen, dass ich nicht ablehnen kann. Ein bisschen schlecht wird´ s mir zwar schon danach, doch wahrscheinlich ist es einfach die Psyche, denn vom Geschmack her würde ich sagen: echte, gute, frische Vollmilch mit mindestens 4,5 % Fettanteil.

Doch zur Sicherheit trinke ich zurück im Auto gleich noch 6cl Rum hinterher – und das um 6:30 Uhr. Es wird ein lustiger Tag!

SAN AGUSTIN

Samstag, 04.06.2011
nach dem Kühemelken

rides gone wild

Über Kali düsen wir nach Popayan, für mich ist es ganz besonders schnell, besoffen wie ich nun bin. Wir fahren auf dem Weg nach San Agustin insgesamt 480 Km, klingt jetzt nicht so viel, wenn man von deutschen Autobahnen ausgeht - wir aber entscheiden uns für einen kolumbianischen Highway und brauchen für die letzten 100km ganze sechs Stunden. Denn plötzlich ist die asphaltierte Straße aus, finito, keine mehr da, nada. Wir stehen vor Schlammmassen, festgefahrenen Trucks, unbefestigten Stücken mit schwindelerregenden Abgründen.

Ganz abgesehen von den metertiefen und zweimeterbreiten Schlaglöchern. Leider ist es auch schon wieder 15.00, als sich völlig überraschend die gute Schotterstraße verabschiedet, in der Karte ist kein Wechsel des Terrains vorgesehen, so konnten wir nicht ahnen, dass sich der Highway in eine Schlammschlacht verwandeln würde. Als wäre Morast in Moor nicht schon genug, fängt es Punkt 15.30 auch noch das Prasseln an. Ich schreibe absichtlich nicht „Regnen“, denn das Wort scheint mir nicht passend genug. Eher beschreibend: Es gießt aus allen Kübeln, es schüttet, was der Himmel hergibt, Petrus lässt es krachen, es pisst aus allen Wolken. Wir schalten in den Vierradantrieb, lassen Reifendruck ab, benutzen die Differenzialsperren und ackern uns durch die „Straße“, ah, Pardon, den „Highway“. Nach ungefähr einer Stunde sieht es wieder nach guter, alter Dirt-Road aus, trotzdem ist die Straße gespickt mit Löchern, großen Steinen und Rillen. Mittendrin können wir uns ein Lachen nicht mehr verkneifen, denn es ist ein bisschen wie im Computerspiel - Georg fährt, ich mache die Ansagen. „Sharp turn right! Großer Stein links! Truck von vorne, Kuh am Rand. Ziege, Huhn, enge Kurve links. Fohlen und Pferd rechts! Achtung, Loch Mitte, Abhang links!“

Mittendrin gefriert mir das Blut in den Adern, wir befinden uns wieder auf etwas über 3000 Metern, draußen ist es kalt, es wird dunkel, ich sehe im Augenwinkel ein kleines Feuerchen im Gebüsch. Seit guten zwei Stunden sind wir weder Mensch noch Auto begegnet, kein Dorf in den Bergen, nur Schlamm, Nebel und Schlaglöcher. Ach so, und Kühe, natürlich. Doch was sich da links am Blickrand bewegt, ist nichts mit Euter. Definitiv. Dann sehe ich es nochmal.

„Scheiße, Georg...da liegt einer. Nein. Mehrere.“. - Pause. Georg „Wo?“. Ich: „Da rechts, neben mir, nein, auch links, da im Graben, schau mal.“. Georg fährt und schaut und sagt nur ruhig „Ja. Ich seh´s.“ Wir sind umringt von Camouflage-bekleideten Männern, an die Hundert liegen zu beiden Seiten in den Gräben, wir fahren weiter, bloß nicht stehenbleiben. „Na, hoffentlich sind´s die Guten“, fällt mir dazu nur ein und Georg drückt auf´s Gaspedal. Nach weiteren 100 Metern sehen wir vorne vier vollbewaffnete Männer in der Mitte der Straße laufen. Zwei davon im weißen Feinripp, naja, so weiß war das dann auch nicht mehr, eher so medium schlammfarben. Unter Vollbärten blitzen Zähne, außerdem blinken die MG´s. „Die sind aber verlottert“, keuche ich hervor, und danach ein „Scheiße! Halt bloss nicht an!“. Da hebt einer die Hand, mir stockt der Atem... “was macht der denn jetzt?“, noch während meiner Frage formt er mit den Finger ein „Daumen hoch!“ und brüllt „Alemania!, jetzt gellen auch die anderen „Alemania! Alemania!“ - zum Glück haben wir die Aufkleber am Auto! Mit erhöhtem Blutdruck und pumpendem Herzen fahren wir weiter, sehen nach der nächsten Kurve unter Planen schweres Geschütz und dreierlei Panzer. Dahinter in der Kombüse kochende Soldaten.

Puh, waren wohl doch die Richtigen. Also, denken wir...

SAN AGUSTIN II

Sonntag, 05.06.2011

freak-out-festival

Ziemlich erschöpft kommen wir nachts am „San Agustin Camping“ (12.000 Pesos/5 €) an, sind die einzigen Gäste, suchen uns einen schönen, einsamen Stellplatz und entschwinden früh ins Reich der Träume. Noch früher werde ich rüde davon erweckt. Nächster Morgen: es rumpelt und schreit und tönt von Draußen. Ich schlage ein Auge auf. Ein Ohr hört. Körperfunktionen fahren hoch.

Ich ziehe die Jalousie nach oben und kann es nicht fassen: wir befinden uns auf einer Festivalwiese. Also gefühlt. Ein ankommender Bus lässt weitere 54 Teenies aussteigen, irgendwas katholisches, sie tragen alle die gleichen Klamotten, besprechen sich kurz im Kreis, ein „Halleluja“-Song ertönt über den kompletten Platz. Von meinem Fensterliegeplatz aus kann ich beobachten, wie neonfarbene Bänder gepannt werden, Areale werden abgetrennt, Zelte aufgestellt.

Als ich gerade realisiere, was da draussen vor sich geht, aufstehe, mir die Jeans überstreife und die Türe aufmache, steige ich fast auf ein Zelt und einen fremden Fuß. Wir wurden eingebaut! Umzingelt! Im Abstand von einem halben Meter wurden die bunten Campinghäuser um uns herum aufgestellt! Hallo? Es ist 6:30 Uhr! Hall-eehee-luja!

Kaum bin ich draußen über die Schnur der anderen gestolpert, werde ich bombardiert mit Fragen: „De donde vienen? Como te iiamas? Viajas sola?“ und noch so viel mehr! „Leute! Mira! Es ist halb sieben! Es muy temprano!“. Es tut mir wirklich schrecklich leid, aber ich kann so früh keine Fragen beantworten. Echt nicht. Schon gar nicht auf Spanisch. So wandle ich über Zelte und Schnürchen und Leute und Mikrophone und Lautsprecherboxen und Hühner und Pferde zu den Sanitarios, sehe die Schlange, halte kurz inne und beschließe...zu flüchten!

SAN AGUSTIN III

immer noch: Sonntag, 05.06.2011

parqueo nacional san agustin

Nach Wechsel des Campgrounds (nun bei „Maco“, 200 Meter weiter vorne, 15.000 Pesos/ 7,50 €) machen wir uns auf in den Nationalpark San Agustin, die berühmten Steinstatuen und Monumente locken uns. Vor rund fünftausend Jahren lebten hier zwischen den rauschenden Flüssen, den Tälern von Magdalena und Cauca zwei primitive Kulturen. Sie begannen miteinander zu handeln, sich zu bekriegen und begruben schlussendlich hier ihre Toten. Leider ist nur wenig bekannt über sie, es gab keine Aufzeichnungen, keine geschriebene Schrift, und beide Völker verschwanden lange bevor der erste Europäer einen Fuß auf dieses Land setzte. Aber sie hinterließen Skulpuren.

Mehr als 500 Stelen und Statuen wurden in den Gegenden um San Agustin gefunden, manche davon sind einfache, stilisierte Tierabbilder, andere lebensgroße Monumente, realistische Gesichter oder aber anthropomorphische Figuren und Monster. Einige wurden hergestellt, um die Götter zu huldigen, andere um Gräber zu bewachen.

Wir sind fasziniert von der Handfertigkeit der alten Kulturen, spazieren durch den groß angelegten Park, kommen mal wieder ganz schön ins Schnaufen aufgrund der Höhe. Die Sonne brennt und schneidet tiefe Schatten in die Steinfiguren. Manche von ihnen sehen grimmig drein, sollen Angst einflössen, andere haben ein Grinsen auf dem Gesicht und ein Baby vor dem Bauch. Die Meisten wurden schützend vor die Steingräber gestellt, drei oder vier an der Zahl. Anzunehmen, dass der König den besten Platz bekam, wir hecheln uns den Berg und die Treppen hinauf und sehen ganz oben, auf der höchsten Stelle des Gipfels eine sieben Meter große furchteinflössende Statue, mit Stäben und Messern in der Hand, aufrecht und eingebettet in wunderbare 360°-Landschaft. Es ist kein King Tut´s- Grab dabei, aber den Besuch und die „Highway-Fahrt“ war es allemal wert!

Über Mocoa fahren wir entlang der Paßstraße 120 Km zur Laguna de la Cocha. Wieder mal gute sechs Stunden brauchen wir für diese „Autobahn“. Doch auch hier ist der Weg das Ziel: die spektakuläre Straße schraubt sich in schwindelerregende Höhen, die Aussicht die überwältigend, wir fahren in den famosen Wolken, sehen auf immergrüne V-Täler, endlos weit herabfallende Wasserfälle rauschen, der feine Sprühnebel umgibt uns und taucht die Landschaft in diffuses Licht, der Weichzeichner läßt nur noch Umrisse erkennen. Wir sind mittendrin im dichten, dicken Nebelwald.

Abends um fünf Uhr erreichen wir das Schweizer Domizil „Guamez“, an der „Laguna de la Cocha“. Der spektakuläre See liegt azurfarben da, inmitten blaugrüner Hügel, eingerahmt von Bilderbuchwolken, besiedelt von einer bewaldeten Insel. Nach kurzem Gespräch dürfen wir kostenfrei auf der traumhaften Parkwiese mit freiem Blick auf die blaue Laguna nächtigen, nur dinnieren sollen wir „dafür“ im Restaurant. Als die einzigen Gäste sitzen wir nun vor dem extra für uns angeworfenen brennenden Kamin, die dunklen Holzdielen knarren, die warme Kirschholzdecke vermittelt Gemütlichkeit, das Feuer knistert heimelig wärmend vor sich hin. Mein Blick schweift von der dampfenden Lasagne auf rotkarierter Tischdecke hin zur Fensterfront, über die blaue im Horizont verschwindende Lagune, die vom Vollmond erhellten Wolken stehen gemäldereif darüber. Ein würdiger Kolumbien-Abschluss – morgen geht’s über die Grenze nach Ecuador.

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