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GÖreme

Freitag, 12.04.2013

Iyiki dogdun!

Eiskalte, trockene Luft pfeift mir um die Nase, ich bin noch viel zu müde dafür und reibe mir verknautscht die feuchten Augen. Irgendwie habe ich das Gefühl, es ist schon total viel passiert, heute. Dabei ist es doch erst 6.00 Uhr morgens! - Wie war das nochmal?

Ich gucke an mir hinunter, Daunenjacke, Thermohose, Bergstiefel. Ach so, ja! JA! OH! Langsam dämmert es, draussen und in mir. Und dann geht alles ganz schnell: ein kleiner Ruck und langsam heben wir vom steinigen Boden ab, ich umklammere mit weissen Knöcheln einen windig aussehenden Bastkorb, der mich die nächsten 60 Minuten tragen soll und ziehe mir die Wollmütze tiefer ins Gesicht. Georg guckt mich liebevoll an, „Guten Morgen, die Zweite, Hase!“. Da wirft der dunkelhaarige Captain mit seinen Handschuh-befingerten Händen den Gasbrenner an. Wfffffffft!

„Oh“, brüllt er da unter seinem tiefschwarzen gekämmten Schnauzer hervor: „I nearly forgot!“ und guckt stechend in die Runde: „If we have an SOS-Landing", sein Blick bleibt an mir hängen, „...you must take the ropes in front of you“, und macht neben seinen komischen Betonungen ein superernstes Gesicht, lehnt sich nach vorne, nimmt das an der Innenseite des Korbs befestigte Seil in beide Hände „like this! And then...you go down, like that, like skiing“, er geht in die Hocke. Dann lacht er: „...but you will die anyway!“. Mit einem schmerzhaften Ruck bin ich hellwach und höre nur noch dröhnendes „Ha ha ha“ vom Captain. Was muss ich nochmal tun? Wie? Was? Notfall? „No. Was just a joke, of course“, lächelt unsere Person des Vertrauens. Hey! Was´n mit dem?!

„You´ll get a glas of champagne, if you survive the flight!“ schreit er nun so laut, dass seine Barthaare senkrecht nach vorne oben fliegen und schiebt ein kehliges Lachen hinterher. Stück für Stück geht es aufwärts, über mir bläht sich ein gelbgestreifter Seidenschirm unter dem Feuerbeschuss, unter mir besagtes Wackel-Ding, neben mir der sympathische Schnauzer. Doch es ist kein starker Wind, das Wetter sieht klar aus, der Captain - abgesehen vom schiefen Humor - auch. Ich entspanne. Ich fliege, halt nein, schwebe, nö, auch nicht, ich „fahre“. Ja, so heisst das, sagt der Duden, in einem Heissluftballon. Über Kappadokien!

Gerade noch in der Wüste Sudans bei schwülstigen 55 Grad geschwitzt, heute schon bei knackig-türkischen 5° gebibbert. Der zu vernachlässigende minimale Temperaturunterschied von minus 50 Grad macht mir dabei ja gar nichts aus. Aber gar nichts! Naja, ich reibe meine Hände manisch aneinander, wird schon wärmer, dann fällt mein Blick nach unten und ich vergesse alles - mir stockt der Atem vor Verzückung: zartrosa Feen-Kamine aus porösem Tuffstein recken sich in die Höhe, die aufstehenden Zacken brechen sich funkelnd im strahlenden Sonnenschein, wir steigen hoch über das Märchenland. Meter um Meter. Eine einzigartige Vanille-Eis-Landschaft breitet sich unter mir aus, zwischendrin Felsenzipfelmützen, Höhlen, verschnorkelte Bäume, Taschentuchfalten, blühende Obstfelder, ich fahre über Schlumpfhausen!

Ich fühle mich mitten ins Comic katapultiert, reingezeichnet als frierende Bastkorbklammerin mit irrem Grinsen, rechts unten läuft Papa Schlumpf hinter Schlumpfine zurück in die Höhle, hey, was geht? Langsam entspanne ich. Die Welt unten wird immer kleiner, Mini-Passagen, Nano-Türmchen, eingeschnittene Cone-Canyons, so weit das Auge schweift. Eine weisse Zuckerglasur schimmert leicht darüber, die färbt sich schon bald in einen leckeren Sahne-Erdbeer-Ton, fluffige Zuckerwatte-Wölkchen schweben darüber. Wir fliegen über das Rose-Valley, Marshmellows, Lollipops aus Tuffgestein unter uns. Die Basis für diese Mond-Landschaft bildet Gestein aus unterschiedlicher Härte, so dass Vulkanausbrüche und Wasserläufe zusammen mit Wind im Laufe der Millionen von Jahren diese Formen bildeten.

Doch Geologie ist mir jetzt grad total schnurz, schwebe ich doch über einer der entzückendsten Landschaften, die mir je unter die Augen gekommen sind. „We are now 1400 Meters above the ground!“, schmettert der Captain nun stolz in unsere Ohren. Der Wind pfeift, doch die Sonne blitzt und beschert uns einen traumhaften Tag mit grandioser Sicht. „And now", brüllt plötzlich der Schnauzer: „HOLD THE ROPE!! - Ha Ha Haaaha!“.

Wieder am Boden gibt’s ein, zwei, ach was, drei Glas Champagner, denn erstens lacht unser humoriger Captain „Gratulation, the unexpected happened: You survived. Ha Haaaha“ und drückt mir gleich mein viertes Glas in die Hand, und zweitens ist ja heute mein 35.Geburtstag! - Ja, the unexpected happened!

Mein B-Day hat jedenfalls schon mal tadellos angefangen: dem Ballonflug (100 E, Ürgüp-Balloons) ging ein gestriges Check-in ins Höhlenhotel „Ottoman Cave Suites“ (ottomancavesuites.com) voraus. Unsere stylische Felsen-Wohnung, die direkt ins Herz des Tuffstein gemeisselt wurde besitzt Eleganz, noble Steinschnitzereien, tragende Säulen und urige Atmosphäre. Hier ein herausgehauenes Regal, dort ein felsiges Rundbett mit samtigen Decken, überall indirekte Beleuchtungsfunzeln, plus ein riesiges Höhlenbad mit exquisitem Schnickschnack. Einen ganzen Tag verbrachten wir gestern schon in der Höhle (kurz unterbrochen zur erfolgreichen Essensjagd).

Noch berauscht vom Höhenflug (vielleicht auch ein kleines bisschen vom Champagner) wandeln wir alias Wilma & Fred (zum Glück ohne BammBamm Feuerstein) zurück in unsere wohlige Höhlenbehausung, da höre ich ein mehrstimmiges „Happy Birthday to youuu, happy Birthday to youuu...“ und Hotelmanager Dschingis kommt mit roten Wangen zusammen mit Chack, Hassan und jeder Menge Gaben unterm Arm angelaufen. Beschwipst stehe ich nun in der Mitte, bemüht um korrekte Nicht-Wackel-Haltung und bekomme einen überdimensionalen Blumenstrauss in die eine Hand gedrückt, in die andere Schokopralinen, einen Früchtekorb und eine Flasche Schampus! Ich bin futsch und weg, „woher wissen die? Was geht da ab? Schaahaatz?“, der guckt allerdings zu irritiert. Dschingis schüttelt den Kopf und ruft ohrenbetäubend in mein Gesicht: „vonne de Familia! Isse de aine Martin, Andrea un de Sabine un Klaus un de Gerda, isse vonne dahe-eihhm! Herzlische Gluckwunsch! Auche vonne mir!“, sagt´s und drückt mich, dass mir die Luft wegbleibt.

Zwar bin ich jetzt nicht nur im Höhen- und Champagner-Rausch, sondern auch noch im Schokoschwips, doch Pläne sind Pläne – und bezahlt ist auch schon. Darum schwinge ich mein Pralinen-Schampus-Heissluft-Bein nun um ein Heissblut-Pferd und galoppiere mit Jinja zwei Stündchen durchs Valley, danach noch eine Drei-Stunden-Wanderung mit Schatzi durch´s Rose- und Red-Valley und dann, ja dann breche ich fast zusammen. Vielleicht war das ein ganz klein bisschen zu viel, ich fühle mehr Gummi als Muskeln in mir und will am liebsten auf die Couch.

Ich dope mich mit vier Espressi, wir packen Geschenke, Rucksack und Co und ziehen abends wieder um in den Campingplatz der Stadt. Schon als ich einlaufe, erspäht mich Shahin am Eingang. „Biste du wieda da?“, frägt er in so süßem gebrochenen Deutsch, dass ich jedesmal lächeln muss. „Kommste Du? Auf ine Shai?“, na klar, komm ich mit auf einen Tee, das ist doch wohl klar. Der liebe Shahin, Teenie Volcan, der Onkel und Ömer arbeiten auf dem Platz und ich gehöre doch schon „zu e Familia! Iste doch e klar!“, denn seit einer Woche trinken wir sechs täglich drei Shai´s, morgens noch einen Cafe dazu und das alles immer zusammen. Doch vorher stoße ich noch via Skype in Echt und in Farbe mit Mama und Papa zuhause und jeder Menge Champagner auf beiden Seiten an. Ich bestaune die sensationelle gephotoshoppte (!) B-Day-Collage der Beiden und freue mich unglaublich über ihren Fernprost-Anruf. Dann wanke ich vor zum Restaurant.

„Simma doch a Familia!“, sagt Shahin, der Onkel ergänzt „Dilek isse Familia Camping, ne?!“. Nichts geht über türkische Gastfreundschaft! Deswegen stehen vor unserem Auto nun auch schon sechs Holzstühle, statt zwei. In die Mitte hat Ömer, der Sohn vom Onkel, schon lange einen kleinen Hocker mit Teppich gestellt, der dient als Tisch. Volcan, der Neffe, hat mir derweil eine Flöte aus Bambus geschnitzt, Shahin von vornherein die komplette Planung des Urlaubs übernommen, laut ihm müsste der folgendermassen ablaufen:

TAG 1: „Musste du auf die Rose-Valley ge, aber von die andere Seit herum! Und musste du auf Pferdi raite ge!
TAG 2: geste du in die Höhlen-Otel von mine andere Neff ode in de Restorang von minne Onkel, andere Onkel, das isse mit de Air-Conditioner! - Isse...lux...äh, weisste du, isse...luxius!
TAG 3: Wenn du willste fliegen den Balloong, sagste du mir, hab ich da familia, isse billiger füa di! Isse von der Frau von Onkel die Schwester der Schwiegersohn da Captain-Fliega!
TAG 4: musste du selber guck, was du wollen magst, ach un eigetlich sowieso!

Da bringt der Onkel Honig zum probieren, „is e besonders gute, is e de familia, isse maine, wie sagst du da? Die Schwester von mi Frau, die Kind die Tante?“. Ja, also Onkel, wie auch immer, der Honig ist wunderbar! „Und musste du auch hier probiere!“, flüstert mir der Shahin jetzt ins Ohr und bringt uns gratis eine Flasche Wein mit Tongläsern, „von e die familia!“, ja, von wem auch sonst? „Hamm mir eigene Waaain! Mit de Reebe un alles! Nix da schnell, schnell, isse langsam gemachte, musste du probiere!“. So kippe ich auch noch den Rotwein weg, nasche von den dazu gereichten Orangenscheiben („aus de Garte von mine Frau!“), lache mit dem Onkel und Volcan, lerne ein paar türkische Vokabeln, streichle die Baby-Enten Murat und Oktay, tätschle Schaf Aylin und setze mich wieder hin. Da gibt’s noch ein paar Haselnüsse dazu: „Magste du auch gutte Nüss? Hab ischda! Die Haaaslnüss von minne Toschter!“.

Plötzlich packt mich der Onkel an der Hand, er wird ganz aufgeregt, sagt „stehst du auf! Stehst du auf! - war ich heut ja weg...füa dii!“ und führt mich von unserem Platz weg. Wir gehen Richtung Restaurant und da legt er mir seine große Bären-Hand komplett vors Gesicht und ich watschle blind vorneweg. Wir müssten so ungefähr direkt im Restaurant sein, als er die Finger wieder von meinen Augen nimmt und ein wackliger Männerchor einsetzt: „Iyiki dogdun, Iyiki dogdun, Iyiki dogdun, Andrea, Iyiki dogdun!“. Türkisches Happy Birthday! Eine kleine dreistöckige Torte steht auf dem Tisch mit drei brennenden Kerzen.

Das ist wirklich süß! Mit meinen Gummi-Beinen setze ich mich, blase die Kerzen aus, schlürfe am Rotwein, schlemme Torte, knabbere Nüsse im Honig, zeige jedem, der ihn sehen will, meinen neuen Ring (von Schatzi) und freue mich des Lebens.

Jetzt könnte ich eigentlich ins Bett fallen, glücklich, fertig und auch megaberauscht, doch geht nicht - jetzt steht das Abendessen an: typisch türkisches Pottery Kebab, im Bodenrestaurant, mit Raki. Gemütlich lümmeln wir nun in trauter Zweisamkeit bei meinem x-ten Glas Alk für heute auf den buntgemusterten Diwan-Kissen, sehen fasziniert zu, wie das Einmal-Tongefäss mit einem einzigen Messerhieb aufgeschlagen wird, schlürfen einen trockenen Tropfen und freuen uns des Lebens. Mein wundervoller 35. Geburtstag geht zu Ende - den ich noch dazu überlebt habe. Mal wieder.

Das Leben ist zu kurz für Knäckebrot!

GÖreme

Montag, 15.04.2013

Fest Im Griff Schlumpfhausens

Wir stecken fest. In Göreme. Kann man nichts machen. Ist einfach zu schön! Märchenhaftes, kappadokisches Schlumpfhausen. Die Berge sind schuld. Der Wein. Die Nüsse. Der Honig. Der Raki. Shahin, Ömer, Volcan und der Onkel. Die Gegend. Die Leute. Die Wanderungen. Die Restaurants. Die Döner.

Wir lernen Ömers Frau, Dschingis Mama und sein Baby, des Onkels Tochter, die zweite und die erste Frau, die Söhne, die Schwiegertöchter, sowie den Rest der Familie kennen. Und den VW-Bus. Und den Marktstand. Und den Dilek-Döner. Wir fahren in Onkels Opel und in Shahins Mercedes. Streicheln Onkels Hund Paul und Shahins Schäfchen, halten Ömers Entchen. Wir dürfen nicht für die Shais bezahlen („Nein! Nein! Iste doch eine Gastefreude! Trinkste du e schön! Prost!“), auch nicht für die Cafes („ja, eigentlich musste schon bezahle, aber nichte du, biste du deine Geburstaggewoch hier!“), und schon gar nicht für die Früchte zwischendrin („iste von die meine Frau!“). Wenigstens zwei Flaschen Wein lässt er uns kaufen.

Jeder Tag ist vollgepackt: Ausflüge ins Love Valley mit seinen Phalli-Symbolen, ein Besuch des Open Air Museums und seinen eingegrabenen Kirchen (die Jahrhunderte überdauert haben), Fahrradtouren durch die Mondlandschaft, fünf Stunden-Wanderungen bei strahlendstem Sonnenschein und natürlich unendlich viele Döner-Kebabs (5 Türkische Lira/2,50 Euro) in der märchenhaft beleuchteten Nacht Göremes.

ANTALYA

Dienstag, 16.04.2013

Wo ist Ali?

Erst einige Tage später können wir uns lösen, drücken Shahin, Ömer, Volcan und den Onkel ganz fest und machen uns auf den Weg an die Küste. Dort soll´s wärmer sein.

„Fahrste du zu mine Couseng, de Ali! Hat er eine Camping bei Antalya!“, flüstert Shahin und gibt uns gleich einen ganzen Stapel Broschüren „Dilek“-Camping mit. „Für de Ali!“ und „gibste du ihm schöne Gruß!“. So fahren wir erst nach Side (steiniger Strand mit schlechtem Wetter), besuchen von dort aus die antike Stadt Aspendos. Angeblich das am besten erhaltene römische Amphitheater der Welt. Aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus, wird immer noch für Aufführungen benutzt. War schon beeindruckend, so. Krieg das Gefühl nicht los, ich habe einfach schon zu viel gesehen. Diagnose: ausgetempelt. Naja, wenigstens wollte keiner Extra-Baskish.

Nach einem Weltuntergangs-Antalya mit schwimmenden Autos und bootsfahrender Feuerwehr in der Innenstadt geht’s nach Cirali und wir suchen Ali. In seinem Campingplatz ist er nicht, doch der Freund vom Bruder vom Nachbar bringt uns zu seinem Strandlokal. Auch dort ist der Ali leider nicht, so können wir nur die Broschüren und den lieben Gruß von Shahin abgeben, werden dafür aber sofort auf Shai und Cafe vom Bruder von Ali, der gerade im Restaurant ist, eingeladen. Wir können leider nicht mehr länger warten, auch wenn gerade die Frau vom Bruder vom Ali mit dem neuen Baby kommt, denn die Sonne geht gerade unter und wir sind noch auf der Suche nach einem Busch-Camping-Stellplatz, den wir auch mühelos am Ende des Strandes finden.

Am nächsten Tag ein kleiner Hike zu Chimaera, wo erstaunlicherweise der Fels brennt. Der Berg Olympus spuckt aufgrund von Erdgas unter seinen Schichten Feuer aus – und das können wir uns natürlich nicht entgehen lassen (10 TL).

EPHesus (Efes)

Donnerstag, 18.04.2013

Kleopatra, Bier und CrÖsus

Es folgt ein unspektakulärer Tag in Kas, am blauen Mittelmeer, mit Holzterasse (30 TL, 15 Euro). Kas ist zwar ein ziemlich schönes Örtchen am Meer mit Atmosphäre, aber es ist leider viel zu kalt zum Baden, im Open-Air-Cafe sitzen oder auch nur bummeln. Regen setzt am zweiten Tag auch noch ein und wir entschliessen uns zur Fahrt - nach Ephesus, auch unter „Efes“ bekannt. Klingt also wie das hiesige Bier. (Das kommt folglich dann auch von hier).

Lonely Planet sagt, es sei „die am Besten erhaltene antike Stadt im östlichen Mittelmeerraum, wo man ein Gefühl für das Leben der alten Römer bekommt“. Stimmt auch. Bombastische Anlage, zugegeben! Hier hat Kleopatra mit Marcus Aurelius gefeiert, gevögelt und überwintert, sich einen Logen-Platz in der 25000 Sitzplätze umfassenden Amphitheaters reservieren lassen, hier hat der Sohn vom Celsus eine pompöse Bibliothek für den Papa errichtet, hier hat Crösus die Münze als Währung eingeführt, und hier kommt der Ausdruck „Geld stinkt nicht“ her: Crösus hat die unbeliebte Latrinensteuer eingeführt, und als ein Ratgeber öffentlich die Nase rümpfte über das „dreckige Geschäft“, entgegnete Crösus mit arroganter Miene: „Amicus! Peculia non odet!“.

Istanbul

Samstag, 20.04.2013

Here i Am

„Here I am, on the road again“, dröhnt Bob Steger in „Turn The Page" aus dem türkischen Radio „Eksen“ (www.radioeksen.com, sensationell!), während wir über die Bosporus-Brücke Richtung Istanbul tuckern. Und ich muss immerzu denken: „Oh, nein, oh nein - bald nicht mehr!“. In wenigen Minuten sind wir am europäischen Festland angelangt. EUROPA!

Ich wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel. Ach, jetzt geht das schon wieder los, das Emotions-Programm: ich bin ergriffen, traurig, erleichtert, müde, aufgeregt und melancholisch und noch so viel mehr. Der volle Fächer Emos. Klar, der Trip geht noch ein bisschen weiter. Doch das ist Europa. Der Abenteuer-Kurs ist vorbei. Das aufregende, wilde, unbekannte Leben. Oh, nein, jetzt kommt auch noch „Hurt" von Jonny Cash. Aaaahhh! Ich werd´ ja noch zur Depri-Semmel. Alles hier scheint so gezähmt. So aufgeräumt. So sauber. So einfach. Der Verkehr ist so ordentlich, dass ich es kaum fassen kann, es gibt Schilder, und die sind noch dazu lesbar, ein tadelloser Mittelstreifen ziert den astrein hingeschmolzenen Teer ohne Löcher.

Das gehört nun allerdings zu den guten Seiten, ha, Ratio kommt hinzu. Danke! Kann ja nicht ständig auf Emo-Tour sein. Da fallen mir auch direkt die geputzten, picobello sauberen Toiletten mit sauberen Sitzen auf den sauberen Autobahn-Raststätten ein, die kommen nämlich mit geschmeidigem Klo-Papier daher, mit Spülung, die aus einem angebrachten Kasten kommt und auf Knopfdruck funktioniert (!). Ausserdem fantastisch: es gibt Licht! Licht tagsüber, Licht nachts, immerzu Licht, es gibt Bewegungsmelder (!) und Strom. Es gibt saubere Duschen, aus denen Wasser kommt und das in einem Strahl, der mich fast ertrinken lässt. Und warm! Und so sauber. Hatte ich das schon erwähnt?

Gerade bin ich wieder auf dem Kurs, da bringen die im Radio ausgerechnet den „Lion King and the circle of life", ich krieg´ die Krise, „he lives in you" schmettert Elton John ins Mikro...„there´s is more to see, that there can ever be seen", „it´s far too much to take in you", zack, jetzt ist alles wieder da, „It´s the circle of life and it moves our soul", ach, hör´ doch auf jetzt, Elti, ich krieg mich gerade wieder ein, „´til we found our place...in the circle..., the circle of life", ei, so kitschig, und trotzdem so schön und ergreifend und jetzt die Streicher...Mann, ich bekomme Gänsehaut, das goldene Auge des Löwen in Addo durchdringt mich, das weiche Nackenhaar der Tüpfel-Hyäne schimmert in der Morgensonne Kenyas, der wackelige Baby-Elefant tappelt in Botswana seiner Mama zum Wasserloch hinterher, die kraftvollen Gepardenkinder springen in Kgadalagadi in einem Satz auf den Akazia-Baun, mir wird schwummerig, ich schliesse die Augen. Die afrikanische Sonne blendet mich.

Nein, ich kann keine Tiere mehr sehen. Nicht nur keine Löwen, Häynen oder Elefanten, auch keine Spinnen auf den Toiletten, keine Mücken, keine Schlangen, nein auch keine Hunde, keine Schafe, keine Hühner, keine Esel, keine Pferde! Nix auf der Strasse, die ist nahezu klinisch rein. Aber auch so sicher und doch gut, eigentlich! Zwar keine Wildkatzen, doch auch keine Insekten. Weder große, noch kleine Tiere da. Keine Wilden, keine Gezähmten, keine Unerwünschten. Dafür sehe ich allerdings jede Menge Autos und Menschen, als wir in die Stadt einfahren und mit „Tears in heaven" gibt nun auch noch der Eric seinen Senf dazu. Nein, ich habe keinen Sohn verloren, nein, ich reisse mich jetzt zusammen, verdammt noch mal! Hör´ doch auf, jetzt! Ich stehe in Istanbul, einer der schönsten Städte der Weltl! Lass´ dich drauf ein! Und keine Sorge, Afrika, ich vergesse dich nicht! Nie!

Istanbul

Sonntag, 21.04.2013

Ritsch-Ratsch

Das Auto steht sicher inmitten Istanbuls, Bob, Elton und Eric sind endlich still, die afrikanische Sonne schläft mal für ne Sekunde hinter meiner Netzhaut und ich, ich reisse mich zusammen.

Und siehe da, geht doch, denn sogleich finde ich, wir haben einen super Stellplatz an der Kennedy Cadessi im Sultanahmet-Stadtteil gefunden. Mitten in der Stadt! Wir stehen am umzäunten Parkplatz eines Fussballstadions, für 20 Euro dürfen wir hier campen, die Waschmaschine benutzen, duschen und die sauberen WC´s besetzen. Echt so sauber!

Wir befinden uns nun genau auf der Landzunge zwischen dem Marmara-Meer und dem Goldenen Horn, also genau da, wo es all die touristischen Sehenswürdigkeiten zu erkunden gibt. Sofort nach Ankunft machen wir uns auf zur Blauen Moschee, die leider wegen Gebetsstunde geschlossen ist, na gut, dann morgen. Nach einem Straßenbahn-Ausflug zum Galata-Turm und anschliessendem Besuch des Derwisch-Museums geht’s über einen Döner-Stopp wieder zurück auf die Landzunge und zur Hagia Sofia. - Oder doch lieber nicht!?

Aufgrund einer 120 Meter langen Touristen-Schlange vor der alten Kirche entscheiden wir uns für den Topkapi Palast um die Ecke. Und erstehen spontan den „Museum Pass“ für 72 Türkische Lira (36 E), mit dem wir nun 72 Stunden lang alle Sehenswürdigkeiten der Stadt ohne Ticketschlange bewundern dürfen. In seiner architektonischen Größe ist der riesige Palast mit mehreren Gebäuden im Park nahezu unüberschaubar, in seiner exquisiten Liebe zum Detail bewundernswert. Wir staunen über des Sultans Juwelen, Kleider, Kuppelgemächer, Zierbrunnen, Fliesenornamentik und natürlich den Harem. Keine lebendigen Beweisstücke hier, allerdings sind die Räumlichkeiten der Konkubinen sowie der Königin Mutter ziemlich elegant anzusehen. Hier wurden sie von den kastrierten Dienern, den Eunuchen, unterhalten, dort bereiteten sie sich darauf vor, den Sultan glücklich zu machen. Auch eine Sultan-Potrait-Ausstellung gibt’s zu sehen. Naja, allesamt ziemlich langnasig und unscheinbar.

Der Besuch kostet ohne den "Museum Pass" nicht nur 40 türkische Lira (20 E), sondern auch den ganzen Tag. Das liegt unter anderem daran, dass der Palast überrannt wird von Touristen. Horden von Touris. Und sie schubsen und drücken und stoßen und drängeln. Ziemlich unerträglich. Horden! Und sie strömen von allen Seiten heran. Eine erschreckende unübersichtliche Menge. Massen von Menschen. Im Palast, auf den Strassen, in den Gassen, in jedem Winkel der Stadt. Überall. Sie rennen, sie hetzen, sie schreien in Handys, halten paradoxerweise 15 Zoll-Monitore hoch in die Luft. Wie ein Baby. Sie sprechen laut zu sich selbst. Murmeln vor sich hin. Alle verrückt? Was ist passiert in drei Jahren?

Erst dann sehe ich den Knopf im Ohr. Und das gemachte Foto im Ipad. Schon wieder Körperkontakt. Hallo? Vielleicht mal was von Intimabstand gehört? Das ist mir jetzt echt zu eng. Oh Gott. Es sind zu viele. Überall. Ich atme ein und aus und versuche mich zu beruhigen. Nein, es geht nicht, es ist zu viel! Zu viel Lärm. Zu viel Gequassel. Zu viel Geschubse. Zu viel Gedränge. Zu viele Ellbogen. Zu viele Köpfe. Zu viele Beine. Zu viele Autos. Zu viel Krach. Zu viel los. Zu viel, zu viel, zu viel. Ich bekomme keine Luft, mein Herz zieht sich zu einem Klumpen zusammen, mein Blut rauscht wie Quecksilber. Ich muss raus! Ich bin kurz vorm Hyperventilieren, mir wird schlecht. Ich renne hinaus, suche eine Bank. Ich setze mich hin, atme durch.

Heim ins Auto, aber schnell! My home is my castle.

Istanbul

Montag, 22.04.2013

Europa, Altes Haus!

Was ist das für ein Geräusch? Pling. Plang. Plong. Kurz muss ich nachdenken, dann fällt es mir wieder ein. Hah, good old Europe hat uns zurück. Und dazu gehört natürlich...Regen. Es giesst wie aus Kübeln und ich drehe mich nochmal um und gönne mir eine Extra-Mütze Schlaf.

Nachdem das Pling-plang-plong endlich nachlässt, springen wir aus dem Auto und wieder rein in die Stadt. Um den Museums Pass auch ordentlich zu nutzen und dem Regen ein Schnippchen zu schlagen, geben wir uns die volle Dröhnung Kultur: nach dem Derwisch Museum steht nun das Archäologische Museum an (bildhauerisch hervorragende Marmorsärge wie der Alexander Sarkophag und Grabungsfunde von der Sidon König Nekropolis), im Komplex auch das Museum für altorientalische Kunst (ägyptische Mumien, mit Hieroglyphen beschriftetes Pergament und so weiter, nee, da waren wir nicht lange drin) und das gekachelte Villa Museum (das einzige Beispiel osmanischer Zivil-Architektur, Fliesenornamentik, bemalte Keramiken).

Die Aya Sofia steht heute auch noch auf dem Programm und sofort im Anschluss watscheln wir hinüber: und ja, es stimmt, ihre Großartigkeit haut mich vom Hocker. Dank unseres Touristen-Passes schlendern wir lässig an der 100 Meter langen Ticket-Schlange vorbei, schieben das Kärtchen in den Drehkreuzschlitz des Sicherheitseingangs und heften unsere Blicke erstmal staunend an die gewölbte Kuppel! Im Jahre 537 fertiggestellt und als größte Kirche des Christentums gehandelt, beeindruckt in der „Kirche der Heiligen Weisheit“ sowohl Größe, wie auch Form der Kuppel, wie auch die feinsten Malereien und Mosaiken im Inneren. Wir versuchen es ein zweites Mal, die Blaue Moschee zu sehen, doch auch diesmal schaffen wir es wieder pfeilgrade zur Gebetsstunde. Na gut, dann eben noch ein Döner, gefolgt von Raki.

Anschliessend geht’s mitten durch all die Leute durch zur Basilika-Zisterne im Südwesten der Hagia Sophia, eines der imposantesten historischen Bauwerke Istanbuls. Aufgrund 336 sich aus den Wassern emporhebenden Marmorsäulen (die an verschiedenen Orten der Welt „zusammengebklaubt“ wurden), wird es auch „Versunkener Palast“ genannt. Irgendwie kamen so auch die zwei Medusen-Köpfe in den Wasserspeicher, die heute wohl einen Großteil der Besucher anziehen. Die Armen wurde allerdings lieblos verdreht auf den Boden gestellt, die eine kopfüber, die andere auf die Wange gelegt und dienten lediglich als Sockel für eine geklaute Säule. Welch Frevel! Ist die Medusa doch eine von drei Schwestern und hat Schlangen als Haare und die Macht, jeden der sie anblickt zu Stein zu verwandeln!

Die Zisterne hat übrigens eine enorme Gesamtgröße von 9800 qm und ein grandioses Fassungsvermögen von 100.000 Tonnen Wasser! Der Wasserspeicher wurde vom Byzantinischen Kaiser Justinian (527-565) angeordnet und bereits mehrfach restauriert, nach Eroberung Istanbuls von den Osmanen im Jahr 1453 wurde er noch ein Weilchen für die Wasserversorgung des Topkapi Palastes genutzt (die Damen bestanden auf ausführliche Bäder, der Sultan begrüßte dies), danach allerdings in Vergessenheit geraten. Denn bald wurde ein fliessendes Wassersystem errichtet, ein neues Bewässerungssystem angelegt und erst der hollländische Reisende P.Gyllius entdeckte auf seiner Suche nach byzantinischen Ruinen per Zufall die Zisterne.

Raus aus dem Keller, rein in die Sonne! Ja, kaum zu glauben, jetzt am Nachmittag gibt es gar keinen Regen mehr und endlich kann ich meine Daunenjacke über den Arm schmeissen und die Sonnenbrille wieder ihren gewohnten Platz auf meiner Nase einnehmen.

Wir entscheiden uns für lecker Baklava auf einer Sonnenterasse mit Panorama-Blick über die Hagia Sofia, ein bisschen raus aus dem Trubel am Boden, schlürfen lecker Türkish Coffee und gucken diesmal pflichtbewusst auf die Uhr: ein viertes Mal wollen wir nicht von der Blauen Moschee abgewiesen werden. 16.30 Uhr, passt. Erneut zwängen wir uns durch die Heerschaar von Besuchern durch, drücken uns durch das Tor, schauen auf zu den sechs Minaretten und ihren vielen Wölbungen, die den Blick nach oben zur großen Kuppel lenken. Eintritt ist frei, und natürlich gibt es einen getrennten Eingang für Touristen, die nur gaffen und Fotos machen wollen und den Gläubigen, die beten wollen. So stellen wir uns in die Schlange (hier gilt ja kein Museums Pass) und warten. Und warten. Und warten.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, vier Franzosen, die sich vorgedrängelt haben und drei Kinder, die Eis, Baklava und Ellbogen auf meiner Jacke hinterlassen haben, sind wir am Eingang, ziehen die Schuhe aus und ein Kopftuch an und schleichen auf Teppichen ins Innere der heiligen Hallen. Feinstes Kunsthandwerk drinnen! Obwohl die Blaue Moschee von aussen so groß, so mächtig, so gedrungen wirkt, ist sie im Inneren leicht, fein, erhaben. Halbrunde Fenster lassen das Licht wie perforiert hereintropfen, die Bemalung scheint in Ornamentik zu schweben, pastellige Blau- und Rot-Töne tanzen auf dem dominierenden Weiss. Lichter und Kuppeln überall. Im abgetrennten Bereich des roten Teppichs beten ein paar Männer zu Allah und werden unschön von ein paar Touristen gestört, die sich nicht schämen, gnadenlos das Tele auszupacken und loszulegen. Die Blaue Moschee erscheint wie ein Kaleidoskop aus Lichtern, blauen Mosaiken, Halbrunden und Rundbögen, gesprenkelt von türkisen und roten Steinchen. Ein absoluter Hingucker!

Nachdem unser Pflichtprogramm nun also absolviert ist und der Regen nun endgültig nach Hause gegangen ist, schlendern wir noch ein wenig am Hafen entlang, schlemmen am Fischbrötchen, gucken den Anglern beim Fischen zu, shoppen ein wenig in den kleinen Hinterhof-Laden, sehen der Sonne beim Untergehen zu, bewundern die vielen Kuppeln, aufglänzenden Minarettspitzen und die Silhouette der Stadt, zwängen uns zurück über den rappelvollen Markt, gönnen uns noch einen letzten Shai und sind bald wieder zurück an unserem rollenden Heim.

Wir sagen Güle Güle, Hosca Kalin und Tessekür Ederim, Türkiye! Servus, Good-Bye und Danke an Deine Menschen, deine Landschaft, deine Städte! Es war schön bei dir!

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