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FIAMBALA

Mittwoch, 14.09.2011

heisse Quellen und asados satt!

Aromatischer Grillfleischgeruch steigt mir lecker in die Nase, Salatgabeln klappern fröhlich, ansteckendes Lauthals-Lachen von allen Seiten. Mich umgeben betörende 39 Grad, es plätschert, spanische Dancehall-Musik dudelt vom Mixtape. Ich strecke den Kopf aus dem sprudelnden Wasser, denn mich beschäftigt nun nur die eine Frage: soll ich zur dampfenden 42 Grad-Grotte wechseln oder die Einladung zum Asado von der Familie gegenüber annehmen?

Ja, das Leben könnte anstrengender sein. Wir fläzen bei strahlendem Sonnenschein in den Aguas Thermales in Fiambala, zusammen mit drei feierfreudigen, Mate- und Rotwein trinkenden argentinischen Familien treiben wir uns zwischen Thermalwasser-gefüllten Natursteinbecken und Zypressen-beschatteten Grillterrassen herum. Nach dem lustig-kommunikativen Grenzübertritt gestern am Paso de San Francisco genießen wir nun die Herzlichkeit, Spontaneität und Gastfreundlichkeit der Argentinier. Mir schmerzen jetzt noch die Backen aufgrund von Lachmuskelkater, da die Grenzer mit vereinten Kräften komplett „Bayern Munitsch“ mit Namen, Eigenschaften und Spielerstatus aufzählten. Auch die blonden WAG´s („Wife´s And Girlfriends“) sind sehr beliebt, doch „Podolski – no me gusta!“. Lukas mögen sie nicht, darin ist man sich grinsend einig. Meine Fußballkenntnisse reichen hierzu nicht wirklich aus, doch Herr Podolski hat auf jeden Fall mächtig verschissen, weil er in irgendeinem Spiel Argentinien saftig aus der Weltmeisterschaft gehauen hat. Die Fútbol-fanatischen Argentinier machen also ihrem Namen alle Ehre, doch nicht nur das. Wir werden überschüttet mit Hinweisen zum Land (Peninsula Valdes ist hinreissend), zur Stadt (unbedingt Cordoba besuchen!), sowie zu Gepflogenheiten (Asado, Rotwein und Mate probieren!).

Wir lieben schon jetzt das Land – und die Leute!

CORDOBA

Samstag, 17.09.2011

Amigos, asado, media lunas

„Mas carne?“ frägt mich Lucas, den ich zwischen all dem Stimmengewirr und der lustigen Musik kaum verstehe. „Si, si, claro, que si!“, schmunzle ich mit vollem Mund, da kommt auch schon das nächste Stück saftiges, weiches Rindfleisch direkt auf meinen Teller geflogen.

Asado. Amigos. Musica! Grillen. Freunde. Musik! Media Lunas. Facturas. Griosches! Halbmondcroissants. Vanilleschnitten. Butterbrötchen! Vino. Mate. Cervezza! Wein. Mate. Bier! Stichworte Ende, doch die Liste könnte ewig weitergehen. Que buen vida! Wir sind der Einladung Lucas gefolgt, ihn in Cordoba zu besuchen und finden uns direkt nach der nachmittäglichen Stadtführung durch Alta Gracia, einer Runde Mate mit Mama Dina, einem Media-Luna-Rausch mit Papa Nico und einer Einkaufsorgie inmitten argentinischer Freunde sitzend im Hause Filardi wieder.

Bei Lucas´ bestem Freund werden wir hingebungsvoll und virtuos bekocht und dürfen schlemmen, was die üppigen Grillplatten und heissen Kohlen hergeben! Wir essen von Einladungsbeginn um 22.30 bis 4.00 Nachts durchgehend und lassen uns das butterweiche Rindfleisch feinschmeckerisch auf der beseelten Zunge zergehen. Zwischendrin gibt’s eine Führung durch unser Casita (unser Toyota-Häuschen), elf begeisterte Freunde stehen im Toyota, danach ist wieder Wein und Bier, Salat und Fleischsession angesagt!
Gerollt, gespiesst, gebraten, gewickelt und bei jedem Gang kreativ anders serviert. Über Stunden hinweg werden wir hingebungsvoll begrillt, sagen wir mal erleben ziemlich rindfleischorientierte Gänge! Ein lustiger Abend mit Menschen, die uns in ein paar Stunden unglaublich ans Herz gewachsen sind!

MENDOZA

Freitag, 23.09.2011

trinken unter professioneller aufsicht, Äh, Anleitung

Ich schnuppere, halte inne, denke nach. Mein Verstand switcht mir bekannte Geruchsmuster bildhaft durch, Früchte und Gemüse, Süßigkeiten und Kräuter...kann das ein Apfel sein? Nein! Himbeere? - Nein! Getrocknete Pflaume? Oregano? Walnuss? Basilikum? - Ganz klar nicht! Verdammt, was kann es sein, ich komme nicht drauf, es ist unheimlich!

Ich öffne die Augen und kann einfach nicht fassen, dass vor mir im dunklen kleinen Glas ein Stückchen grüne Paprika liegt. Unschuldig klein und einfach nicht durch die Nase zu erraten! Vor eben dieser stehen nun 22 dunkel abgetönte Gläser mit diversen Inhalten: von süßen Erdbeeren und Pfirsichen über säuerliche Zitronen und Oliven bis hin zu herben Schokoladenstückchen, caramelliger Creme de Leche, geröstetem Toastbrot, geruchsneutralen Walnüssen, würzigem Kümmel, intensivem Rosmarin, erdigen Trockenpilzen oder aromatischen Vanille- und Zimtstangen ist alles vertreten. Erst schnuppern wir mit geschlossenen Augen, erraten Früchte, Gewürze und Aromen, anschließend ordnen wir sie den Weinen zu. Wir haben einen Weinkurs der besonderen Art in Mendoza gebucht und sitzen nun im „Vines of Mendoza“ im eleganten Degustier-Raum, umgeben von edlen Tropfen, vor uns thronen zehn langstielige Weingläser, daneben erwähntes Sensory Kit mit verschiedenen Geruchsstoffen auf dem Tisch.

Stift und Papier liegen bereit, und so lernen wir unter professioneller Anleitung zu saufen, äh, zu degustieren. Was ich anfangs noch hervorragend behalten, sagen wir mal ziemlich gut erlernen konnte, geht im Laufe des Abends aufgrund des Alkoholpegels leider etwas unter, doch zuviel Wissen macht ja eh den Geschmack kaputt... Die besten Weine des Landes kommen aus diesem Teil Argentiniens sagt uns Emilisia, und mehr als 70% aus dieser Gegend Mendozas. Die Sommelière erklärt bei der privaten Session im stilvollen abgedunkelten Separee hingebungsvoll Tannin, Abgang und Körper der Weine.

Dazu gibt’s eine Käseplatte vom Feinsten, der rauchige Morbiere passt am besten zum intensiv blumigen Torrontés, der klassische rubinrote Malbec mundet mit seinem körperreichen Gaumen exzellent zum milden Creme-Camembert, der milde Bonarda mit seinem vielschichtigen Seide-Sahnegeschmack und weichem Abgang bildet ein Duett mit dem strengen Ziegenkäse. Im Mairena Reserva finden wir Spuren von grünem Paprika, eine zarte Melange von Holz und süßlichen Tropenfrüchten, der smoky Charakter rührt durch die Lagerung im Eichenfass.

Ich bin ausgesprochener Fan der Beschreibungen Emilisas, hier ein paar sprichwörtliche Kostproben: „Wie ein wundervolles Konzert vereint dieser Wein Komplexität, Strenge und Leidenschaft („Quaramy Finca 2005“, 61%Malbec, 16 %Syrah, 23%Cabernet Sauvignon) ...Stellen Sie sich nur eine reife Kirsche vor, die schwer und prall auf ihrer Zunge platzt (Bonarda 2002)... Schokoladig und erdig wird Sie dieser Wein führen, er vollführt einen langsamen Tanz in ihrem Mund (Cabernet Sauvignon). Meine Zungenspitze schmeckt das sanfte Süße, das rassige Salzige und das herbe Bittere, ich schwelge im rauchigen Cabernet Sauvignon und könnte Baden im Bonarda! Voller Genuss geben wir uns dreieinhalb Stunden den rotfunkelnden Weinen hin, dem cremigen Käse und den aufregenden Gerüchen, ich kann vollauf den Namen Qaramy unterschreiben, der auf Quechua-Sprache „Poesie“ bedeutet und Emilisa ist eine Meisterin darin! Doch nun möchte ich einfach nicht mehr weitertexten, um mich ganz und gar meiner neuen Leidenschaft, der professionellen Weinprobe hinzugeben...man muss ja festigen, was man lernt!

Das Leben ist ein Gedicht!

PATAGONIEN + PENINSULA VALDEZ

Montag, 03.10.2011

singende Wale, grunzende SeelÖwen und wackelnde Pinguine

Ich schlage die Augen auf. Es ist dunkle Nacht, mein Puls geht hoch. Was ist das für ein Geräusch? Heftiges Schlagen gefolgt von durchdringendem Fauchen. Ich öffne das Fenster und luge in die Finsternis hinaus.

Das weite Meer liegt in einer Decke aus funkelnden Diamanten vor mir ausgebreitet, der schwache Mond verteilt sein düsteres Licht gleichmäßig darauf. Kleine Wellen brechen sich am Ufer, die steilen Klippen stehen senkrecht auf. Da ertönt ein neues Geräusch, ich versuche verzweifelt, es einzuordnen...wie heftiges Blasen in den Flaschenhals eines Glasgefäßes, ein verschwommener, unklarer, dumpfer Ton, der entfernt an den Klang einer Panflöte erinnert. Mh, Peru haben wir doch schon hinter uns gelassen, in der Fußgängerzone Münchens zur Weihnachtszeit stand ich auch schon lange nicht mehr, woher kommt also das Geräusch? A-Moll auf der Flöte, da war´s schon wieder. Ich wickle mich aus der Decke, springe hinunter und öffne die Tür. Dank des Mondes kann ich auf die Taschenlampe verzichten, Georg neben mir schläft selig weiter. A-Moooolllll ertönt, gefolgt von archaischem Tigerschnauben, groß und mächtig – einschüchternd bis in die menschlichen Grundmauern.

Evolutionstechnisch bedingt ganz weit drinnen ruft mich eine Stimme zur Vorsicht. Doch, was soll hier schon sein? Wir campen allein am Ufer des Atlantik, inmitten des Naturreservats der Halbinsel Valdes, mein Verstand weiß: keine Tiger, keine Löwen, und die paar Pumas, die es hier laut Besucherzentrum geben soll, wollen keinstenfalls etwas von mir. Die Kapuzenjacke um die Schultern gezogen nähere ich mich dem Geräusch, da klatscht es ohrenbetäubend laut direkt vor mir. Dann sehe ich es deutlich: im Wasser erhebt sich eine kolossale tiefschwarze Flosse, danach lugt ein gigantischer Schädel heraus, ein lautes Wimmern folgt dem Panflöten-Geräusch, eine perfekt geformte dunkle Schwanzflosse erscheint wie in Zeitlupe an der Oberfläche, um gleich darauf mit ohrenbetäubend lautem Platschen auf dem Wasser aufzuschlagen.

Der riesige Glattwal „Right Southern Whale“ schwimmt heran, der große Kopf erscheint, wir stehen Auge in Auge, keine 15 Meter voneinander entfernt guckt er mich neugierig an, bläst mit lautem Flaschenhalsgeräusch eine imposante Wasserfontäne aus dem Hinterkopf, dann taucht er ab, in einer einzigen eleganten Wellenbewegung verschwindet der kompakte, massive Körper wieder im nassen Blau-Schwarz des Meeres. Mit ihren durchschnittlich 16 Metern Länge und 40 Tonnen Schwere beeindruckende Tiere, friedlich und sanftmütig gleiten sie durch das Meer, Krill und Plankton durch die fransigen Barten siebend. Ich erblicke einen weiteren Wal, er dreht sich auf den Rücken, der weiße Bauch schaut heraus, das Prusten ist dunkel und ergreifend, bei der Seitenrolle sehe ich erst die rechte Flosse, dann die linke, nun bleibt er auf dem Rücken verharren. Weiter hinten springen einige Männchen in hohen Pirouetten auf, schlagen eine Brücke und klatschen zurück ins Meer, und das alles, um die Mädels für sich zu gewinnen! Es ist Paarungszeit an der Halbinsel, die Stärksten, Größten und Besten werden sich fortpflanzen, hunderte Wale nutzen die ruhigen Buchten, manche der weiblichen Tiere gebären auch hier. Genau zwölf Monate tragen sie die Babies in sich, ein ganzes Jahr vergeht von der Paarung bis zur Geburt. So können wir hier Zeuge eines ganz besonderen Naturschauspiels werden, Hauptsaison dafür sind die Monate September und Oktober, das wussten wir, darum sind wir hier.

Nur in der ersten Nacht war das Geräusch noch erschreckend, nun gehört es dazu. Jede Stunde können wir es hören, schlafen damit ein, wachen damit auf - doch nie, niemals werde ich diesen ersten Ton, diesen ersten Blick in das Auge eines Wals vergessen!

Am nächsten Tag sind wir hingerissen von einer trippelnden Pinguin-Kolonie am Punte Cantor, keine 50 Zentimeter entfernt stehen sie im steifen Frack vor uns. Auch sie brüten, sind im Oktober gerade dabei, ihre Höhlen zu „renovieren“, die Männchen warten ungeduldig vor den Wohnungen, bewachen die Mädchen oder schubsen sie auch mal mit kräftigem Flügelschlag zurück ins Bett. Lustig anzusehen, wie sie ausserhalb des Wassers unbeholfen umherwackeln, im schwarzen Smoking und auf breiten Patschefüßchen, um gleich darauf im Meer die absoluten Schwimmmeister darzugeben - bis zu acht Km/h schaffen sie dabei.

Die 45cm-großen und drei Kilogramm schweren Magellan-Pinguine geben Töne von sich wie schnatternde Enten, wiehernde Esel und grölende Seelöwen – und ja, auch die bekommen wir life zu Gesicht. Die größte Seeelefantenkolonie der Welt versammelt sich im Herbst hier auf der Peninsula. Die 4000 Kilogramm schweren Tiere schreien wie Affen, grunzen wie Schweine und grölen wie Tiger! Relaxt und faul liegen sie in der Sonne am Strand, schaufeln sich mit der freien Flosse etwas Lichtschutzfaktor-fördenden Sand auf den Rücken und sammeln Kräfte für die nächste Saison.

Die wilde, aufregend schöne Halbinsel Valdez überrascht uns täglich mit hinreissenden Stimmungsbildern, überraschenden Geräuschen, faszinierenden Tieren und unheimlicher Atmosphäre, man fühlt sich ganz nah dran, am Kreislauf des Lebens - und wenn der Macho-Wal mit seinen 40 Tonnen keine 50 Meter entfernt einen federleichten Halb-Salto aus dem Meer vollführt, um sein Mädchen zu beeindrucken, dann bin ich es erst Recht!

PERITO MORENO NATIONALPARK
+ LOS GLACIARES NATIONALPARK

Dienstag, 18.10.2011

segeltÖrn Am Fitz Roy

Mit Meister-Proper-Kraft und bleichen Knöcheln klammere ich mich an einem Granit-Felsblock fest, tausende kleinster Steinchen schleudern mit 80 Km/H durch die frostige Luft, ich presse mein Gesicht schützend an den kalten Stein, das Blut gefriert mir in den Adern. Hübsche rote Maserung hat er, der Felsen, muss ich da in der Nahaufnahme bemerken...

Schade um´s atemberaubende Bergpanorama des 3405 Meter hohen Fitz Roy mit seinen blauen Schroff-Felsen und dem spitz geformten Bischofsmützen-Gipfel! Das letzte Eisfeld schimmert gefährlich, wir müssen umkehren, sehr ungern lassen meine krallenden Finger den rettenden Stein los, sofort nimmt mich der Wind willenlos ein Stückchen mit, auf Knien krieche ich zurück, immer wieder erfasst mich eine heftige Böe, wirft mich von einer in die andere Richtung, wie eine Marionette tanze ich in Petrus´ Choreografie den schmalen Bergkamm zurück.

Windsurfing mal anders! Dabei hat mich heute morgen der Blick aus dem Toyota-Fenster frohlockend und wohlgesinnt erwachen lassen, ein Airbrush-Wölkchen-Vorbildshimmel versprach Erste-Sahne-Wetter, der hiesige Herr Kachelmann ließ per Radio verlauten: 100% Sonne, 0% Regenwahrscheinlichkeit, im Verlauf des späten Nachmittags leichte Windböen! Jetzt ist es 11.00 Uhr und die Welt geht unter! Wie gut, dass ich erst gestern bei strahlender Sonne, nachhaltig beeindruckt vom Bilderbuch-P.Moreno-Nationalpark mit hüpfenden Nandus, springenden Guanakos und flatternden Flamingos meine fünf Postkarten lieblich schwärmend geschrieben und zur Post getragen habe. Liebe Freunde, Eltern und Tanten: das war Unrealistisch! Heute ist „Normalbetrieb“ in Patagonien, wie ich für meinen Geschmack noch viel zu oft erfahren werde...

Nach einer knappen Wanderwoche im „Perito Moreno“- Park erreichten wir gestern - bei Kaiserwetter - den Nationalpark „Los Glaciares“ und baten um Kartenmaterial in der Touri-Info. Allejandro, der Guia de Fauna war glücklich: „El tiempo hoy no es normal! Es hermoso, buenissimo! Tienen mucha suerte! Hay gente, que estan aqui por tres semanas y no pueden ver El Fitz Roy!“ (Dieses Kaiserwetter heute ist nicht normal, es ist so wunderschön, ihr habt ja solches Glück! Es gibt Leute, die hier drei ganze Wochen warten und den Fitz Roy nicht mal sehen können). Aha. Uns erwartet der Berg mit brüllendem Sonnenschein, wir können das Bergmassiv in ganzer Blüte auf uns wirken lassen: links der seltene Anblick des freistehenden Cerro Torre, der mit seinen 3128 Metern 85% des Jahres in dicken Nebelschwaden hängt und gleich daneben der legendäre Fitz Roy. Zum Einstimmen machen wir eine kleine Nachmittagswanderung und freuen uns auf morgen.

Wir stehen zeitig auf, machen uns um 7.00 Uhr auf den Weg, der Anblick ist fantastisch: ein rose-goldener Fitz Roy mit zart schimmernden Schnee-Pailetten leuchtet uns vor blauem Himmel entgegen. Um 9.30 Uhr erreichen wir den Aussichtspunkt, Fitz steht in Wolken, wir machen ein authentisches Nebelwand-Foto. Es ist erst 10.30 Uhr, als sich das Wetter abrupt ändert, der Wind pustet zusehends schlimmer, die Bäume heulen Horrorstreifen-Songs, einige biegen sich effektvoll im 70 Grad-Winkel zu uns herunter. Um 11.00 Uhr laufen wir bereits auf dem exponierten Bergkamm, als die Böen einsetzen, heftiger Sturm peitscht uns. So nahe am Roy wollen wir uns das Spektakel aber nicht entgehen lassen, Schritt für Schritt arbeiten wir uns hoch und erreichen die Kuppe genau in dem Moment, als das Tohuwabohu losbricht! Roy (in) Black, sag´ ich da nur!

Eine aggressive Böe erfasst mich, die Steinstreusel schmerzen wie Nadelstiche, vor uns das Eisfeld, zu beiden Seiten der Abgrund. Sieht von Weitem aus wie ungewollter Breakdance mit Steinschlag! An den Felsen geklammert, durch Rückenwind hingetackert harren wir aus, bis ein Weiterkommen möglich ist. In dem Fall ein Umkehren. So wackeln wir bei 80 Wind-Km/H dem Rückweg entgegen und sind heilfroh, nach sechs Albtraum-Stunden unser Auto am Campingplatz in El Chaltén zu erreichen.

Dort angekommen verbringen wir einen heiteren Hüttenabend mit William, dem freiwilligen Helfer am „El Relincho“- Campground (60 Pesos). Der 30-jährige gebürtige Porteno (aus Buenos Aires) hat hier schon so einige Wetterumbrüche erlebt, „claro“, meint er lässig, "es ist windig und zugig und auch kalt, stimmt schon alles – aber die Berge, die wilde Schönheit der Natur, ich liebe es!". Als gelernter Schreiner tingelt er in der Gegend als Saisonarbeiter umher, macht hier und da Aushilfsjobs, doch das Ambiente ist es wert. Ja, und dann hängt er jedes Jahr noch zwei, drei Freiheitsmonate dran – zum Klettern und Bergsteigen, bevor er die nächsten Monate im günstigen Guatemala verbringt. „A vezes“ (manchmal) vermisst er schon seine Freundin Anna und auch die Familie, aber das Gefühl zu den Bergen und der Freiheit ist einfach stärker. „Was soll man da machen?“ lacht er...

In der Nacht wird uns ein Segeltörn-Feeling for free geschenkt, unser 4-Tonnen-Toyota schaukelt wie eine Babywiege hin und her, der Lärm, die fliegenden Plakatteile, Steinchen und Äste draussen lassen uns trotzdem nicht wirklich ein Auge zutun. „Ah, si, claro... eso es normal!“ erklärt uns am nächsten Morgen der grinsende Allejandro, „somos en Patagonia, aqui una carpa solo dura cuatro semanas, en otro lugares cuatro anos!“. (Ah, ja, jetzt ist es wieder normal, das ist Patagonien, hier hält ein normales Zelt auch nur vier Wochen, statt vier Jahre. Dann reisst es einfach durch!“).

„I am sailing, I am sailing, home again, ´cross the..., äh, mountain...!“

PERITO MORENO GLETSCHER

Freitag, 21.10.2011

ICe AGE

Erst ist leichtes Knacken zu hören, dicht gefolgt von dumpfem Grollen, dann bricht ein großes Stück Eisberg ab und platscht effektvoll ins dunkle Wasser. Der Ehrfurcht gebietende Perito Moreno Gletscher mit seiner Oberfläche von satten 297 Quadratkilometern baut sich bläulich schimmernd vor uns auf, hin und wieder stürzt ein illustrer Brocken der 60 Meter hohen Frontwand zeitlupengleich herab.

Die Dimensionen sind überwältigend, die Spalten glitzern aquamarin, die Sonne lässt das Eis wie Edelsteine blitzen! Von Calafate aus fuhren wir knappe 50 Km zum Nationalpark rund um den Lago Roca (Gratis). Wir lernen Denise und Richard kennen, die ihren – mir absolut unverständlich – kompletten Jahresurlaub hier in Patagonien verbringen. Über 4000 Euro war es ihnen wert, einen Camper zu mieten und die meisten Nationalparks der Gegend abzuklappern. „Die mystische Traumwelt der kargen Steppe, die aufregenden Berge und einsamen Parks“ so schwärmt die 25-jährige Denise mit einem verzückten Grinsen auf dem Gesicht, „haben es uns angetan“, Richard nickt eifrig dazu. Der Wind pfeift, die Luft ist eisig, ich schmiege mich in meinen Daunenmantel und binde meinen Schal etwas enger um den Hals. Denise lacht „Ja, ist schon ein bisschen windig hier, ne?!“

- Ein bisschen? Naja...ich würd mal sagen, es zieht an allen Ecken, von den Enden ganz zu schweigen, ich kann mich kaum aufrecht halten und wie auf Kommando fängt´s da auch schon wieder zu Regnen an. So überraschend! Ach ja, die Natur ist schön, so wunderbar! Doch bei aller (natürlicher) Liebe ist es hier ein bisschen wie am „Arsch der Welt“ - und da bin ich doch lieber am Busen der Natur, also sagen wir mal am Beach in Costa Rica, nur so zum Beispiel. Ehrlich, die „ursprüngliche Natur“ ist schon ganz wundervoll und auch all diese „mystische Kargheit“, und erst die „unberührte Schönheit“, doch bei Windstärken von 100 km/H und horizontalem Regen hört sich die Liebe halt dann doch mal auf.

Nun gut, zurück zum Gletscher, der doch wirklich sensationell war, und das ohne fließendes Sarkastisch. Wieso er kalbt? Der Perito Moreno schiebt sich in den Lago Argentino, dort schwimmt das Eis auf, durch die so entstehenden Spannungen knackt es und riesige Stücke brechen in apokalyptischer Explosion vom Eispanzer ab. Wir können in den drei windigen Stunden, die wir am Eisberg verbringen, sieben Mal das Kalben beobachten.

Jetzt geht’s mit schnellen Schritten und quietschenden Reifen auf nach Chile, der nächste „ursprüngliche“ Nationalpark steht auf dem Reisezettel: Torres del Paine (siehe Chile-Kapitel).

USHUIA

01.11.2011

Am anderen ende der Welt, die sÜdlichste Stadt auf dem Globus, oder ganz einfach: Mission erfÜllt!

Yeah, yeah, yeah! Nach 476 aufregenden Tagen und 60710 gefahrenen Kilometern stehen wir nun am südlichsten Punkt unserer Reise in Ushuaia! Die letzten 16 Monate waren magisch, inspirierend und manchmal auch ziemlich anstrengend, doch die atemberaubenden Bilder roter Wüsten, tropischer Dschungel, türkiser Puderzucker-Strände, karger Steppen, glitzernder Seen, schroffer Küsten, schimmernder Gletscher und mittendrin die Großartigkeit wilder Tiere haben sich unvergesslich in mein Herz eingebrannt und waren jede Strapaze der Reise wert!

Nur kleine Zwischenstückchen sind wir in den letzten 15 Monaten auf der Panamericana gefahren, war es doch viel aufregender auf Seitenstraßen zu abenteuern. Ab sofort geht’s wieder Richtung Norden, in die Wärme – was wirklich seltsam klingt. Erkläre das mal einem Vogel: nach Norden sollst du fliegen, um zu überwintern! Von Puerto Natales aus müssen wir wieder kurz nach Chile einreisen, um nach Punta Arenas zu gelangen. Hier buchen wir für umgerechnete 60 Euro eine Fährüberfahrt bei „Transportadora Austral Broom“ nach Tierra del Fuego. Der Seegang während der zweieinhalb Stunden ist fürchterlich und ziemlich „brech“-intensiv, sechs Meterwellen werfen uns, das Schiff und die Autos von einer auf die andere Seite. Schnell schlucke ich eine Sea-Sick-Tablette, Georg redet Vally gut zu, die Matrosen verzurren hektisch die Autos.

„Feuerland besticht durch die Aura des Geheimnisvollen“, sagt unser Reiseführer, „ranken sich doch viele Mythen um diesen Landstrich der Erde! Wie viele Seefahrer sind hier schon gescheitert, wie viele Schiffkatastrophen hat das Kap Horn schon gesehen!" - Wir erblicken karge (ja, so ursprüngliche!) Steppenebenen, aber auch Torfmoore und Buchenwälder mit moosgrünen Stämmen. Schon mystisch, aber auch eisig-böig. Die Kronen der armen Bäume sind in exakt eine Richtung gebeugt, doch das brauche ich nicht zur Erinnerung an den Wind. Wir müssen die Türen unseres Autos beim Aussteigen festklammern, ansonsten würden sie abgerissen! Mütze, Stadtplan und Taschentuch fliegen mit 90 km/h davon. Natürlich fahren wir soweit wie möglich auf der Straße an den südlichsten Punkt, dort, wo es nicht mehr weiter geht, und genau dort öffnen wir eine Flasche Champagner, versuchen den Inhalt auch in die Gläser zu bekommen, was bei dem Wind nicht ganz so einfach ist und stoßen auf unsere (bisherige) Reise an. Erste Mission ist erfüllt!

Auf der Rückfahrt in die Stadt sehen wir am Supermarkt Malin und Espen! Große Freude! Genau ein Jahr ist es her, dass wir die Norweger zum ersten Mal auf Mexico´s Baja California kennenlernten und gemeinsam das Festland durchquerten, immer wieder haben wir uns getrennt und wiedergetroffen, sind zusammen gereist und haben uns wieder verabschiedet - viele wundervolle Reiseerinnerungen verbinden uns! Die Beiden kommen gerade aus Rio Gallegos und sind etwas in Eile: es ist die letzte Woche „Reise-Freiheit“ für Malin, sie fliegt in der ersten November-Woche in die Antarktis. Drei Monate lang wird sie dort als Chefköchin einer Expeditions-Crew arbeiten, sie wird in einer orangen Zeltstadt auf dem Eis leben, kochen und schlafen und genauso lang wird sie auch auf dem ewigen Schnee und dicker Iso-Matte pennen - das schimmernde Eis, der kühle Wind, ein heisser Kochtopf und die spiegelnde Sonne werden ihr ständiger Begleiter sein. Die Jobs sind begehrt und auch gut bezahlt, das endlose Weiß ist einmalig, die Erfahrung fantastisch. So wird Malin zwar Espen ziemlich vermissen, doch auch viel Spaß an der Arbeit haben, denn eins ist klar: die Leute sind sensationell, nicht nur die Gäste, sondern auch die Kollegen, denn ein bisschen verrückt muss man ja schon sein, um so etwas machen zu wollen - und ein bisschen durchgeknallt ist ja immer gut!

Wir verbringen einen kommunikativen Abend in der geheizten Hütte am Skilift in Ushuia und feiern gemeinsam die Ankunft am südlichsten Punkt unserer Reise!

Mission complete!

TOLHUIN

01.11.2011

roberto, das original

„Oh, ah, IDEAAA!“, juchzt Roberto, reibt mit dem Zeigefinger wie „Wickie“ an der Stupsnase und rennt auf die Wiese. „Vamos“, brüllt er da von fern, „kommt mit“! Wir sind immer noch zu viert unterwegs und nun dem 45-jährigen im hellgrauen Overall dicht auf den Fersen. Fast haben wir Schwierigkeiten zu folgen, mit solcher Geschwindigkeit ist er unterwegs!

„Espera aqui! Momento!“, sagt´s und legt etwas hektisch den Finger an den schwarzen Schnauzbart, bedeutet uns hier vor der Tür zu warten und verschwindet hinter der graubraunen Holztür unter kreativer Deko. Die gesamte Hausfassade ist vollgenagelt mit, äh, Objekten. Links oben eine alte Autofelge, daneben diverse Schläuche, ein ausgesägtes rotes Holz-H, daneben ein ausrangiertes Kinderfahrrad, hier ein Teekessel, dort ein oranger Pfeil, bunte Kisten und Bretter, zwischendrin hängt ein Vogelhäuschen, ein Old-School-Tennischläger, einige Eisengitter und viele, viele Dinge, die ich einfach nicht identifizieren kann. Hier regiert das Chaos und Roberto ist dessen Herrscher. Auf Anhieb verknallen wir uns alle ein bisschen in das kreative Original und können uns nicht sattsehen an seiner „Kunst-Estancia“.

Auf einer Fläche zwischen Meer und Steppe gründete er vor 23 Jahren den Campground „Hain“: hier ist er aufgewachsen, hier hat er Geburtstagskerzen ausgeblasen, Fahrradfahren gelernt, Feste gefeiert, Häuser gebaut, Rasen gepflanzt, geheiratet und Kinder gezeugt - hier hat er auch die Scheidungspapiere unterschrieben und die Hälfte seiner Ex abgetreten. „Naja, das ist halt das Leben“, schmunzelt er, „doch es ist trotzdem so ganz und gar wundervoll, la vida, nicht wahr?“, sagt´s und wendet sich wieder dem Camping-Thema zu: „de todo del Mundo“ kommen die Leute hierher! Roberto sprudelt nur so vor Energie und guter Laune, hält keine Sekunde still und wetzt auch schon wieder davon, als er zurückkommt kreischt er schon von Weitem: „Alemania!!“ als er den Schriftzug am Auto liest, „isch libbe Munitsch!“ singt er plötzlich, doch da kommt schon ein imperatives: „Mitkomme!!“ - und er ist auf und davon, um´s Haus herum, wir hinterher. Da war er weg. Nun stehen wir vor seinem Häuschen der Kuriositäten ganz allein.

Keine zwei Sekunden später öffnet er die Holztür von innen und es ist ein merkwürdiges Geräusch zu hören. „Tuut. Tuuuuuuuuut!“ ertönt es da und wir erblicken eine riesige Märklin Spielzeugeisenbahn, die sich über Dreiviertel der Wohnfläche erstreckt. „Es de Alemania!“ prahlt er mit geschwollener Brust, seit zwanzig Jahren baut Roberto, ich taufe ihn Daniel-Düsentrieb-Bobby daran, jede noch so winzige Kleinigkeit hat er ausgearbeitet. Wir sehen einen Mini-Toyota, einen Wohnmobil-Camper und einen Spielzeug-VW-Bus auf dem Modell stehen, genauso wie eine Holzfabrik, Wälder, Bahnhöfe, Tunnel, winkende Männer und Taschentuch-schwenkende Frauen auf den Gleisen, galoppierende Pferde und weite Estancias. Stolz weist er uns auf jedes Detail hin, setzt eine zweite Eisenbahn ein, lässt Schranken hochgehen und Schaffner pfeifen. Roberto ist glücklich! Aus jeder Pore seines Wesens strahlt er uns an, seine warme Aura ist überwältigend! Er grinst und bedeutet uns, Fotos zu machen. Wir lachen und schiessen Papparazzi-gleich drauf los.

Nach der Eisenbahnführung gibt’s ein paar Gläser Schnaps in der Bar im Nebengebäude, ein Treff-den-Haken-Geduldspiel folgt, anschließend ein Rundgang durch das Areal. Hier hat der Künstler eine Sonnenuhr gebastelt, dort ein maritimes Turbinen-Fahrrad, am Strand steht ein eigenwilliges Boot. Zwischendrin hetzt Bobby zurück zum Haus, holt ein Stück Holz und säbelt vor unseren Augen drauf los. „Nuevo Arte“, neue Kunst, sein neuestes Stück wird ein Schriftzug werden. „Todo Basura“, eigentlich ist das alles Müll, sagt er, „doch ich mache Kunst daraus“, „Mira!“ (Schaut!) und hält uns eine eigenwillige Konstruktion vor die Augen. Da schnappt er sich den Bauhelm, der an einer der Cabanas hängt und läuft zurück zur Sonnenuhr. Tatsächlich, sie funktioniert, es ist fünf Uhr. Wir passieren einen roten Uralt-Audi garniert mit Stickern, vollgestopft mit Rucksäcken. „Der Besitzer“, so erzählt uns Bobby „hat den Wagen für 400 Dollar in Kanada gekauft und ist damit bis hierher gefahren! Fünf Monate! Wenn er nicht mehr fährt, macht er mit dem Rucksack weiter!“ - ich gucke Georg an und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen...wieso noch mal musste es ein Toyota sein?

Gemeinsam schlendern wir zur guten Stube des Campgrounds, denn langsam nimmt der Wind überhand und selbst Native-Hardcore-Patagonier Roberto hält es draussen nicht mehr aus. Plötzlich sitzen wir urgemütlich bei loderndem Feuer in einer urigen Berghütte - volltapeziert mit Hunderten bemalter und signierter Holzscheite - mit verglastem Blick auf verschneite Bergkuppen und wild schäumendes Meer. Das ist das Werk „von allen Gästen gemeinsam“, „juntos“, erklärt uns Roberto mit rollenden, weit aufgerissenen Kulleraugen während das Holz leise knistert „alle kommen sie hierher! Mein ganzer Stolz“. Nach zwei, drei Schnäpschen mehr schwelgt er in Erinnerungen, wie sehr liebt er doch Patagonien und sein erfülltes Leben hier, auch wenn die Scheidung ihn schon mitgenommen hat.
"Doch was soll´s", meint Bobby da, "mein Herz pocht froh, ich bin ein glücklicher Mensch, ich lebe den Augenblick, jeden einzelnen Moment koste ich aus, es zählt das Hier und Jetzt! Wen kümmert die Zukunft, wen die Vergangenheit, jetzt, genau jetzt haben wir eine gute Zeit!".

Und während ich an einer Verewigung im Holzscheit male flüstert Roberto: „Quien te quita - lo bailando!“

BUENOS AIRES

Mittwoch, 09.11.2011

suche fussreflexszonen-Masseur
mit krÄftigem HÄndedruck
und gutem DurchhaltevermÖgen

„Medium o tres cuatros?“ frägt uns die bildhübsche glutäugige Kellnerin im rustikalen Asado-Restaurant „El Gaucho“. Wir entscheiden uns, por supuesto für Ersteres und werden nicht enttäuscht: zehn Minuten später bringt uns Gabriela ein noch brutzelndes Vorbildssteak mit den perfekten knackigbraunen Abdrücken des Grillrostes an den Tisch, Special-Food-Designer hätten das für´s Auge nicht besser hingekriegt.

Möchte sagen, ein gastronomisches Highlight, ein Sahnestück der Kuh, ein himmlisches Super-Lomo! Mir läuft schon beim Anblick das Wasser im Munde zusammen und so lecker wie es aussieht, schmeckt es beim ersten Bissen dann auch: knusprig-rösch aussen, butterweich rosarot-zart innen, na eben genauso, wie man sich echtes argentinisches Rindfleisch vorstellt. In der rustikalen Parilla „zum Gaucho“ im Herzen Buenos Aires geht für uns bei gebackenem Provolone, saftigem Filet und köstlichem Rotwein der erste fantastisch-elektrisierende Stadttag zu Ende.

Bei frühlingshaften 26 Grad frühstücken wir freiluft in der Fußgängerzone mit einem doppelten Cafe Cortado, dreierlei Empanadas und frisch gepresstem Orangensaft inmitten der belebten Fussgängerzone in der Avenida Florida. Hier drängen sich diverse Cafes an Grill-Restaurants, die Auswahl an Bars, Kneipen, Eisdielen, Konditoreien und Fast-Food-Schuppen ist riesig.
Ein einziger Gaumenschmaus, und zwar in jeglicher Richtung, von links nach rechts, von süß bis deftig. Wir genießen erstmal stilvolle Wiener-Kaffeehauskultur, lernen ganz nebenbei knuffige, wehmütige, sympathische und vor allem superkommunikative Portenos kennen und arbeiten uns nach ein paar Stadt- und Shopbesichtigungsmeilen am begrünten Plaza San Martin vorbei zu den luxuriösen Galerias Pazifico, eine Art „LaFayette“-Kaufhaus von Buenos Aires.

Drinnen gibt’s neben goldenen Rolltreppen, edlen Lichterketten und stilvoller Weihnachtsdeko einen prächtig geschmückten deckenhohen 20-Meter-Weihnachtsbaum en azul zu sehen. Der steht kreativ eingebettet unter kolossalen Gewölbedecken mit barocken Motiv-Malereien der Muralisten und „Nuevo Realismo“- Künstlern Berni, Castagnino, Spilimbergo und Urruchua. Neben edlen Auslagen in Geschäften wie Chanel, Luis Vuitton, Escada und Ralph Lauren gibt es elegantes Shopdesign zu bewundern, aussen beeindruckt die architektonisch kunstvoll gestaltete Fassade. Jetzt schnell die Sonnenbrille auf und weiter geht’s die Cordoba entlang über die breiteste Straße der Welt: die Avenida 9 de Julio wartet mit 16 Fahrspuren und 140 Metern auf!

Beim Blick nach links sehen wir den phallusartig aufragenden weißen Obelisk, bevor wir uns sputen und über die Straße hechten, um nicht überfahren zu werden. Nicht ganz so einfach in Buenos Aires – die Autofahrer sind hektisch, gestresst und überhaupt immer im Recht, das sagt schon die verstärkte 180 Dezibel-Hupe an! Wir hetzen hinüber und sehen nun rechterhand das prachtvolle alte Teatro Cervantes, am Dach kleine spitze Giebelchen, unten ein schwarz-weißes Banner mit Retro-Abdrucken alter Schauspiellegenden. Am Teatro Colon entlang laufen wir im Rhythmus der Mengen vor zur Avenida Corrientes und stehen nun direkt am Fuße des riesigen Obelisk, bevor´s weitergeht zur Plaza de Mayo. Hier gibt’s eine kleine Pause, das nächste Cafe, diesmal cool-trashig im Design, gibt uns mit einem Cappuccino und Churros con Dulce de Leche (typisch argentinische Karamell-Creme) Kraft für Christina´s Märchenschloss. Gemeint ist der rosa angestrichene Palacio del Congreso, ein Monumentalbau der Sonderklasse, gekupfert vom Capitol in Washington D.C. - hier regiert Präsidentin Christina Fernandez de Kirchner. Die rinderblutfarbenen Mauern zierten schon Reden der überspannten Eva Peron und auch Madonna sang sich hier für „Evita“ die Kehle heiser.

Beschwingt durch die doppelte Kraft der Karamellen setzen wir unsere Stadttour fort, wandeln über üppige Grünflächen mit duftendem Flieder, der schwer, aber zauberhaft über der Stadt hängt, kaufen uns ein „artesaniales“ Dulce de Leche-Eis (bin jetzt schon davon abhängig) und schlecken uns die Zungen daran wund, bevor wir in eben erwähnte Parilla schlendern, um unsere Kalorienaufnahme für heute ins Unermessliche zu treiben!

Da kommt´s jetzt auf das knackige 300 Gramm-Premium-Lomo (Angus-Sirloin-Lende) nun auch nicht mehr an und so setzen wir dem Bilderbuch-Tag mit einer Flasche Malbec-Bornada noch das argentinische Krönchen auf...
Der nächste Tag beginnt wie „Dia Uno“, siehe oben, nur in Szene eins wird ein anderer Hintergrund eingezogen, diesmal Motiv „Freiluft-Terasse im ersten Stock“- gratis gibt´s dazu den Vogelperspektive-Fußgängerzonen-Qualitäts-Blick, der tatsächlich unbezahlbar ist: die stolzen Portenos schlendern, stöckeln, wandeln, hetzen, tanzen und laufen unter uns das Kopfsteinpflaster entlang – nebst allgemeiner Lässigkeit sehen wir die breite Palette eleganter Businessmen, Latina-Vollblutfrauen Marke „Jennifer Lopez´“, rauchende Rastafaris, rockige „Blondie´s“, Batikhosen tragende Hippies, Goldkettchen behangene „Julio Iglesias“, attraktive Fashionistas, aufgebrezelte „Ivanka Trumps“ und auch süße Schulmädchen in rotkarierter Uniform, dunkelblauen Jäckchen und Goldknöpfen fehlen nicht im Sender – summa summarum: cool, bunt, exklusiv, kreativ, naja, hin und wieder haut halt einer daneben, trotzdem: Mixtura perfecta!

Jetzt ist die interne Bild-Speicherkarte fast schon voll, doch kein persönliches Erbarmen, bis der Akku blinkt. So machen wir uns auf nach Recoleta, dem Stadtviertel der Reichen und Schönen im Nordwesten der Stadt. Wir steigen in die Subte (hiesige U-Bahn) und fahren völlig unkompliziert die paar Stationen - und das ohne ein Diplom in Zonen-, Tarif- oder Fahrplanstudium hinter uns zu bringen. München, lerne!

Hier befindet sich eine ganz besondere letzte Ruhestätte, der „Cementario Recoleta“. Oh nein, wir sind keine Friedhof-Touristen, Grufties mit Hang zu Grabgelagen und auch nicht auf Droge, doch der am 17. November 1822 eingeweihte Friedhof ist was ganz Spezielles! Eine kleine Stadt in sich, war er doch der erste „Cementario“ Buenos Aires´ ist er mittlerweile ein bedeutendes historisches und künstlerisches Denkmal von sage und schreibe 55000 Quadratmetern, auf denen sich 4.800 einmalig gestaltete Krypten um den besten Platz streiten. Hier ruhen die wichtigsten, reichsten und avantgardistischsten Persönlichkeiten der argentinischen Geschichte, beeindruckende Marmorsarkophage und barocke Statuen thronen über exklusiven „Grabvillen“. Natürlich linsen wir auch das – eher schlichte und dunkel gehaltene – Grab von Eva Peron, sowie die bronzenen Gedenktafeln ihrer Freunde, Familie und Anhänger.

Nach so viel Ernst-und-Düster steht mir jetzt der Sinn nach Bunt-und-Hippie, gleich die Straße hinunter rechts sollte der „Feria Artesanial“ laut „Lonely Planet“ sein, ein täglicher Markt mit 70er-Jahre Klamotten und Co. Ist er leider nicht, nur vereinzelte Girlies haben auf cirka 10 Deckchen ihr dürftiges Kessel Buntes ausgebreitet. Wir suchen und fragen, doch selbst die Portenos haben keine Antwort, wieso er heute nicht stattfindet. Ein paar lange Gesichter ausser den unseren gibt’s, doch gemeinsam müssen wir die Enttäuschung verkraften und machen uns wieder vom Acker, äh Park. Als Ersatzprogramm gibt’s jetzt Buntes auf die Pupillen und zwar hochkarätig: Kunst vom Feinsten.

Wir besuchen das rostrot gestrichene „Museo Nacional de Bellas Artes de Buenos Aires“ und sind ganz von den kreativen Socken: das kostenfreie Museum wartet hochkarätig auf! Erstmal ein Kompliment an den Kurator ob der überraschend differenten Gestaltung, mein besonderer geistiger Händedruck gilt jedoch dem sensiblen Innenarchitekten mit exquisitem farbharmonischem Verständnis! Die Räume sind in Kraft-Farben getaucht, jedes Zimmer eine andere Farbigkeit, die Ausstellung wird weder nach Epochen, noch nach Stilrichtungen geordnet, sondern ist unterhaltsam und geistanregend unterteilt in Lichtstimmungen, gemeinsamen Motiven oder Stiftungen. So entspanne ich nun auf einer Holzbank, kreise meine brennenden Fußsohlen und bewundere die Intensität Gauguin´s nackter Frau am Meer vor mir, habe Monet´s kleine Öltupfer im Rücken und Manets leichte Pinselstriche im linken Augenwinkel.

Neben Renoir, de Valle und Toulouse-Lautrec gibt’s natürlich einen obligatorischen, aber doch immer guten Picasso zu sehen, aber auch Werke unbekannter spanischer und argentinischer Künstler, Rubens-Frauen von Pieter Paul und chaotische-ich-wusst-schon-immer-du-hast-ein-Rad-äh-Ohr-ab Van Goghs. Skulpturen, Objekte, Antiquitäten, sowie Malereien der Moderne im ersten Stock runden das Museum ab und machen es zu einem Must-Do in der Stadt, wenn´s nach mir geht.

Jetzt schmerzen die Beine zwar schon ganz schön, ach was sag´ ich, ich könnte direkt Neue kaufen, doch weit und breit kein Fussmasseur in Sicht, so dopen wir uns erneut mit doppeltem Cappuccino, halt nein, Cortado natürlich, lassen uns noch ein bisschen Extra-Serotonin von Mutter Sonne zur Tarta de Verduras (Gemüsequiche) verabreichen, wandern an exklusiven Stadtvillen vorbei und fahren wieder per Subte zurück ins Microcentro. Anschließend geht’s weiter ins Tango-Viertel San Telmo, wo wir in ein anderes Jahrhundert eintreten! Antiquitäten-Läden und atmosphärische Tango-Bars reihen sich an schicke Edel-Boutiquen, Musik dröhnt aus den Restaurants.

Eine alternde Tangolehrerin mit magentafarbenen Lippen und Föhnfrisur will uns verschwörerisch in ihrem Bann (und ihr Lokal) ziehen: „El tango es un amor!“, raunt sie „wir sind alle Individuen, und das ist auch gut so, aber im Tango können wir uns vereinen – und für einen Tanz lang scheint das Leben pure Leidenschaft, Liebe, Vereinigung und Hingabe zu sein! Schaut, ich unterrichte nun schon 35 Jahre Tango, er ist meine erste und meine letzte Liebe, sonst ist das Leben doch eher enttäuschend, nicht wahr? Kommt herein, lernt von mir!“. Wow, was für Worte, denke ich, und das an der Türschwelle kurz nach dem „Buen Dia“. Wir reissen uns trotz dieser innigen Rede von der wasserstoffblondierten, dürren 65-jährigen im roten Tangokleid mitsamt Netzstrumpfhose und Stöckelschuhen los und genießen mal wieder einen Cortado, diesmal „para llegar“ (zum mitnehmen).

Nicht nur bei Madame Flora schlägt das Herz des Tango, nein, auch zurück in der Fußgängerzone findet gerade eine Show statt, eine zierliche Chica in knallengem Rot wird von Smoking-tragendem Mann mit Hut elegant herumgewirbelt. Im Quadrat tanzen die Beiden, was Lackschuh und High-Heel im Duett mit fulminant zur Schau gestelltem Stolz hergeben, gucken leidenschaftlich, manchmal auch verzweifelt drein, doch diese Melancholie muss sein, das ist Tango, das haben wir ja gelernt! Kurze Pause, der dritte Tanz ist aus, Hutmensch spricht ins Mikro, ehe ich mich versehe spricht er mich an und winkt mich auf die Pflasterbühne. Was soll ich da machen, die Leute klatschen schon, ich verstehe zwar nicht ganz, was ich tun soll, doch ich gehe einfach mal hin. Schon liege ich in seinem Arm, habe mein Bein eng um das Seine geschlungen, nun auch noch einen Hut auf dem Kopf und werde Ginger-Roger´s-Fred-Astair-mäßig hin-und-hergeworfen. Na sagen wir mal schmeichelnderweise umhergedreht. Zack, das war mein erster Tango, Spaß hat´s gemacht!

Nun können mich meine Beine aber beinahe nicht mehr tragen, und ich und sie wackeln in die nächste Bar hinein. Heute ist nämlich Fussball angesagt: Argentinien - Bolivien. „Allez, allez, allez!“ schreit es uns entgegen, die 70 Quadratmeter kleine Resto-Bar kann immerhin mit fünf Flachbildschirmen aufwarten, vor denen jeweils 25 emotionsgeladene Männer ihr Bier in der Hand halten und hypnotisiert auf die Mattscheibe starren, ohne die fixierten Augen im erhitzten Gespräch vom Spiel abzuwenden. Wir knabbern an Cervizerias, special-food zum Bier und Fußball: gebratene Kartoffelscheiben mit Speck und Schicken garniert, baden in einer Soße aus Bier und Käse. Es wird intensiv gelitten, gejammert, bejubelt und gebrüllt, wie man sich das so beim fussballfanatischen Argentinier vorstellt. Das Spiel endet mit Gleichstand 1:1, weswegen die Laune ab der Halbzeit eher so im Mittelwert anzusiedeln ist, doch richtig traurig ist hier keiner, nach dem Spiel ist vor dem Spiel und wir sind mittendrin!

Und weil wir jetzt auch wirklich am Puls des pochenden Buenos Aires sind (das Auto steht auf bewachtem Parkplatz unweit des Puerto Madero-Viertels - ein Bankengelände mit New York-gleichen Wolkenkratzern am Hafen), kommt nun auch noch das legendäre Nachtleben auf den Prüfstand. Der angesagte Night-Club Crobar in Palermo soll´s sein, und auch bezüglich Boliches (Diskos) werden wir nicht enttäuscht: die zwei Palmen an der Eingangstür gefallen schon mal, innen betont die indirekte Beleuchtung das Cremeweiss der Sitzgruppen, Reeling-artige Chromgelände und vollmondinspirierte Lichtbälle machen das Ambiente groovy. Neben E-Mukke gibt’s im Nebenraum klassischen Rock, wir zischen unseren Happy-Hour-Cocktail für erneute Energiezufuhr auf der knallvollen Galerie im Zwischenstock, setzen uns auf die hellen Couchen und zutzeln unseren Drink, denn wirklich abzuhotten fällt mir schwer. Zwar reisst es mich immer wieder tranceartig auf den fiebrig bunten Dancefloor, da kann ich fast nichts machen, doch bald, ganz bald weiß ich: diese Füße können nicht mehr, keine Chance.

Da hilft auch nicht, dass wir beim zweiten Bargang eine sympathische Clique kennenlernen: Juan-Pablo, Marie, Jorge, Any und Martine, Jose und Manuel feiern kräftig ab, sie alle wohnen 20 km von der Hauptstadt entfernt und lieben Buenos Aires. Während es die Mädels unfassbar finden, dass wir noch keine Kinder haben, bläst Jorge eine Wolke kubanischen Weihrauchs in die Luft, macht ein bisschen auf Coolio und schon bald erklärt uns der Finanzberater wie´s läuft: „Argentina wird immer teuerer. Wusstet ihr, dass wir jedes Jahr 20% Inflation haben hier? 20%, das muss man sich mal vorstellen. Für mich ist das nun nicht so schlimm, ich habe die Schäfchen im Trockenen, naja, sagen wir mal fast“, so der 33-Jährige, „aber Juan-Pablo zum Beispiel muss sich sein Studium noch finanzieren. Neben der Kellnerei macht er auch auf Paseoperro.“ Auf mein fragendes Gesicht hin erklärt mir Jorge „15-20 Hunde führt er dreimal die Woche aus“ und nickt dabei zu Juan-Pablo. Immer mal wieder sahen wir die professionellen Gassigeher in der Stadt mit dutzenden Leinen und zugehörigen Bellos an der Hand, in allen Stadtparks gibt es Hundekrippen – auf den Spielplätzen werden die kleinen Lieblinge abgegeben, um sich für ein paar Stunden ganz dem Shopping oder Business zu widmen.

„Habt ihr die Müllsucher an den Straßen gesehen?“, fährt Jorge fort, „für die haben wir hier in Buenos Aires einen speziellen Ausdruck, sagen wir mal Berufsbezeichnung, `Cartoneros` nennen wir sie. Das ist die Schattenseite der Stadt, es gibt viele Arme und Penner, die nachts aus ihren Löchern oder Decken gekrochen kommen, um sich durchs Wertstoffsammeln ein paar Pesos zu verdienen“. Die 25-jährige Any kommt zu uns herüber, „schön, dass ihr hier seid“, lacht sie herzlich, sie ist so gar kein Latino-Typ, eher eine mittelblonde Kate Moss mit kugelrundem Bauch, der sich auch sofort erklärt: Any ist im vierten Monat schwanger und glückselig. Sie freut sich so sehr auf das Baby und das künftige Familienleben mit Manuel, der eine kleine, aber feine - wie Any betont - Bäckerei im Vorort besitzt. „Porque no tienes ninos, eres casada, no?“ frägt sie mich.

Wieso ich keine Kinder habe, wo ich doch verheiratet bin? Meine Erklärungen prallen an ihr ab, das Verständnis fehlt vollkommen. „Aber Kinder sind doch der Sinn des Lebens! - Und du bist doch schon so alt!“. O.k., das hat gesessen...doch ich schmunzle, denn alt fühle ich mich ja nun wahrlich ganz und gar nicht, eher mittendrin, vollkommen glücklich im besten aller Leben und überdies erfüllt-frohlockend, mit dem was ich gerade mache.

Ganz ehrlich fühle ich mich, als kraule ich durch den magischen Whirlpool des Lebens und werde hin und wieder an fantastischen Buchten von heißen Quellen sprudelnden Glücks überschüttet. Dann tauche ich unter, halte den Atem an und bewundere mit pochendem Herzen die unsagbare Schönheit der Welt.

Doch Any bleibt dabei, nur durch Kinder wird das Leben perfekt. Die wunderschöne Marie steht nun neben uns, lange braune Volumenmähne und Oliventeint betonen das Weiß ihres Tops hervorragend (oder andersherum?), sie ist Lehrerin und möchte auch ganz bald schwanger werden, denn „immer nur in Clubs rumhängen“ ist auf Dauer nicht ihr Ding. Ein bisschen beneidet sie Freundin Any um ihr Babyglück, doch „bald, ganz bald“ und dabei grinst sie den ihr gegenüberstehenden Jose an „werden wir auch eine Familie sein!“. Jose ergänzt, „und nächstes Jahr heiraten wir! Das wird eine riesengroße Feier!“, sagt´s und verschwindet auf die Tanzfläche. Wir dancen und trinken, die Musik ist gut, die Stimmung gelöst, die Atmosphäre perfekt, wir haben eine richtig gute Partynacht! Als die Vögel zu zwitschern beginnen wanken wir nach Hause, per Taxi in unser süßes, kleines Casa Rodante (rollendes Heim) und entschlummern sanft in blinkenden Lichterträumen.

Am letzten Tag in dieser wundervollen Stadt entscheide ich mich (es fällt schwer, aus dem breiten Angebot zu wählen) nach dem Palermo-bei-Tag-Besuch und einem Spaziergang im blühenden Japanischen Garten mit knallroten Brückchen über künstlich angelegten Seen für Mega-Shopping - denn wer weiß, wann das wieder so aufregend, überschwänglich und vielfältig der Fall sein wird. Georg hingegen wählt die erholsame Sportsbar, in die er sich zurückziehen kann, während ich meinen Füßen (und der VISA) den Rest gebe.

Buenos Aires II

25.01.2011

Master-and-Slave-Prinzip

„The good thing is: it is fun. The bad thing is: the woman has to follow – the man is leading!“. Das ist ja mal eine Ansage. Unsere erste professionelle Tanz-Stunde findet im Urmutter-Tangolokal „Confiteria Ideal“ in der Innenstadt nahe des Obelisken statt.

Romina kickt uns die nächsten drei Stunden durch den Saal, bei melancholischer Musik und traditionellem Ambiente kommen wir so richtig in Fahrt und rein ins Tango-Feeling. Der abgewetzte Marmorboden unter uns zeugt von vielen Milongas (Tangobällen) der Portenos, Stimmung bringen blutrote Marmorsäulen, dunkle Holzvertäfelung, meisterhafte Stuckarbeiten, stumpfe Messingbeschläge und opulente Kronleuchter. Ach so, und natürlich die dröhnende Tangomusik und das duftende Cafearoma von allen Seiten, sowie die exzellente Haltung Rominas. Ich hab´ sie direkt auf Romina Power getauft, denn bereits beim ersten Tanz wird klar: die dunkelhaarige Schönheit ist Muskelmasse pur. Durchtrainierte, perfekte Ballerinatanzfigur, absolut vorbildlich!

„And now“, fährt die sehnig-zierliche 30-jährige fort, „Ladies, put your hand on the chest of your partner and feel his pressure, when he is moving forward, then you are moving backwards“. - „Oh, and one more thing: no fighting here in my class! That´s important“. Ohhh.Keee. Kam wohl schon mal öfter vor. Komisch...
Die 25-jährigen Franzosen Lilly und Rousseau sind mit an Tanz-Board, sowie die lustige Amerikanerin Megan mit Freundin, schätze die Beiden mal auf Mitte 40. Wir alle sind guter Stimmung, bester Absicht und lockeren Beins. Georg und ich sind an der Reihe und versuchen das dann mal. Meine Hand liegt auf seiner Brust, Georg lehnt sich leicht nach vorne, ich soll daraufhin nach hinten treten.

Also er schiebt, ich weiche. Halt, nein, er führt, ich muss folgen, äh, der Führung nachgeben. Irgendwie so. Romina erklärt das hübsch mit „He is inviting you to go backwards, just follow then.“. Nett gesagt! Nahezu schmeichelnd. Ich tripple also rückwärts und immer schön mit-den-Füßen-am-Boden-wischend, lasse mich nach hinten drücken, nein, „folge“ Georgs sanftem Druck, „lasse mich einladen“. Hach! Dann gibt’s die Drehung, „Just follow his directions“, erklärt Romina idealistisch und für meine Begriffe auch leicht mahnend in meine Richtung.

Weiß nicht... ist nun echt leichter gesagt als getan und als Georg lächelnd erneut zum „leichten“ Handdruck ansetzt, nein, mich direkt nach hinten schiebt, rechts pusht, fast schon stößt und dann wieder grinsend die anderen Finger im Rücken ansetzt, nein hineinbohrt, die mich zur Drehung pressen wollen, platzt es einfach so aus mir heraus: „Also ich glaub, du stehst da jetzt voll drauf! Aber mach mir jetzt bloß nicht das Master-and-Slave-Ding! Da kann ich nicht drauf!“. Romina eilt herbei, bestätigt Georg in seiner Schieberei (das mit dem Stoßen streitet er ab) und wir machen weiter. Ich müsste meine Leidenschaft dabei anders einsetzen...Aaah, ja. Nun gut, ich atme tief durch, strenge mich in meinen Folger-Eigenschaften so richtig an, und siehe da: nach einer guten Stunde sind wir wahrhaftig drin - strenge Miene, schlürfendes High-Heel-Bein – immer schön dem Manne folgend! - Und das Atmen nicht vergessen...Notiz an mich: atmen, eins, zwei...jetzt die Hingebung, äh Hingabe. Weiß noch nicht mal, wie das richtig heisst hier beim Tanz! Aufopferung? Eins, zwei...Mann, diese Machos...Wem ist das denn eingefallen...eins, zwei, Hingabe!

Da betreten zwei neue Pärchen die Tanzarena. Mit einem Wort: Hollywood calling, oder war´s New York? Egal, kommt auf´s gleiche Ergebnis raus! Wir machen gerade die Superdrehung mit leichtem Kick der Dame nach hinten (danach die Hingabe) und freuen uns ob unserer tänzerischen Harmonie. Ach, welch´ Einklang, per stummem Einverständnis tänzeln wir über den polierten Marmorboden, Eintracht, Friede, Pracht (uuuund Hingabe, eins, zwei). Die pure Grazie in zwei Personen, Ramona nickt uns stolz zu und raunt „perfect! You two are doing it peeeerrrfect! That´s the way! Gooood!“.

Wir alle sind leicht irritiert, als die Türe auffliegt und die ganze VIP-Herde einfällt. Tun jedenfalls so. Der mächtig-wichtig-stierende Jason in Goldknopf-Business-Garderobe mit iPhone in der Einen und platinblonder Tracy auf Louboutin-Killerheels an der anderen Hand poltert direkt los, tritt in die Mitte der Tanzfläche, streift noch Lilly dabei und posaunt derb: „Hey Guys! What´s that! Are you learning that stuff just right now...ha ha?! Looks like that!“ - OH, Jason hat sich auf Anhieb sieben neue Freunde gemacht! Sofort erfahren wir, natürlich unglaublich wichtig für uns: Jason ist Manager aus den USA, das befreundete Pärchen Jennifer (Aniston-Look-Alike!) und Brad (nicht wie der Pitt, auch nicht 10 Jahre älter, nein, nein) sein (Angestellten-)Team. Halb verschlucke ich mich aufgrund der Namen, als er die Beiden vorstellt. Während Bennifer jedoch artig dem Unterricht folgen, gibt Jason mächtig Gas. Vorhang auf für Mr.Oberdepp! Romina versucht, die verpassten Minuten der Neuankömmlinge schnell aufzuholen und erklärt eifrig und engagiert, während wir anderen uns wieder unserem mühsam Erlerntem zuwenden. Eins, zwei... Hingabe!

Der gegelte 50-jährige mit leichtem Spannbauch über der Armani-Jeans drängt sich sofort mit Size-Zero-Tracy im Gucci-Print-Dress in die Mitte und plärrt nach drei Minuten los: „Next one, next one! Hey, I got this now, I want the next figure! Now!“, während Romina sich nun wieder mit uns abmüht. Es steht fest: Jason ist ein Asshole. Very Big Asshole. VBA. Eins, zwei...Atmen! Er unterbricht die Lehrerin, tritt uns auf die Füße, stößt Lilly und Rousseau etliche weitere Male, hat ein aufgesetztes Lächeln und telefoniert in den nächsten zwei Stunden mindestens sechs Mal mit der Börse. Oder so. Jedenfalls ultra-important. Also U-I-P und VBA. Die arme Tracy tut uns mittlerweile schon leid, denn sie kann ja nichts dafür und sagt auch keinen Ton...Jason schnauzt sie an „Oh, come on, that´s so easy...You just don´t get it!“, lässt sie ein paarmal sitzen, erst zum Telefonieren, dann zum Rauchen, dann verschwindet er einfach so „I´m finished now. I got it!“. Rauscht anschließend geräuschvoll und auf Tracy schimpfend auf den Lacoste-Lederslippern (mit roten Socken) hinaus. Am Ende der Lektion kommt er nach einer guten Stunde wieder herein, riecht nach Whiskey und Zigaretten, macht sich noch ein bisschen an Romina ran und Tracy ist den Tränen nahe. Fucking Big Asshole! Nix VIP - FBA!

Nun lasse ich mich jedoch gleich noch ein wenig lieber führen und nach den drei Stunden haben Georg und ich es so richtig formvollendet drauf (eins, zwei, Hingabe!), staksen im Takt des Tango vor-und rückwärts durch den Saal, haben die Anmut gepachtet, verbeissen uns allerdings ob der gewollten Tanzdramatik das Lächeln, und sind selig, uns gegenseitig hin-und herzuschieben. Halt, nein, natürlich, ich werde geschoben, also, nein, geführt. Absolute Hingabe!

Und weil wir uns so gut dabei fühlen, gehen wir direkt ein Stockwerk höher und mischen uns unters Milonga-Volk, das an diesem Sonntagabend zahlreich hier erschienen ist (und die den Tango-Groove mit der Muttermilch aufgesogen haben, jedenfalls scheint es bei ihnen keinerlei Schieb-und-Folge-Verständigungschwierigkeiten zu geben, ach ja, die Hingabe).

Nun sind wir schon wieder satte vier prallgefüllte Tage hier in einer der Traumstädte der Welt (für mich). Es wird nicht langweilig, nachdem wir letztes Mal die Sehenswürdigkeiten der Innenstadt, sowie das Nachtleben ausgekostet hatten, wollen wir dieses Mal ganz relaxt den Rhythmus der Stadt spüren. Ohne Hektik, was zu verpassen. Im sensationell restaurierten Hostel „El Querencia“ im Herzen San Telmos residieren wir die ersten vier Nächte und verlieben uns sofort in den Charme des Viertels: Kopfsteingeplasterte Straßen, süße, kleine Cafe´s, niedrige Kolonialgebäude, leicht müffelnde Antiquitätenläden mit urigen Besitzern, liebevoll dekorierte Boutiquen und ausgefallene Shops mit kreativ bemalten Vitrinen, kuriose Leute, Künstler-Originale und Anno Dazumal-Parrilas, aus denen der rauchige Geruch von saftigem Grillfleisch auf die Straße zieht. Geschichtlich gesehen ist San Telmo eines der interessantesten Viertel der City, zumal Pedro de Mendoza Buenos Aires genau hier, am Standort des heutigen Museums für Landesgeschichte gegründet haben soll. Wir schauen für 2 Pesos hinein und sehen Stilmöbel, Waffen und Krimskrams aus dem frühen Leben der Portenos.

Bei 38 Grad im Schatten ist die Stadt diesmal am Brüten, doch die Sonne und mit ihr die kurzen Röcke und kühlen Cocktails bringen auch ordentlich Stimmung...wir schlendern zwei ganze Tage gemütlich im Viertel umher, genießen Freiluft-Tango-Shows an der Plaza Dorrego, besichtigen die gelb getünchte Barockkirche Iglesia Nuestra Senora de Belen und schmunzeln innen über die vielen Ventilatoren in dem Gotteshaus. Wieder draußen setzen wir die Sonnenbrille zurück auf die Nase, trinken einen Cafe Cortado bei, na was sonst, Tango-Musik in der Bar „Plaza Dorrego“, in der schon Künstler wie Borges ihre besten Ideen hatten und die Ober noch schön altmodisch im Frack bedienen – und gehen ins Gefängnis. Der Eintritt ist frei, drinnen war man´s nicht. Das Museo Penintencario ist auf jeden Fall einen Besuch wert, wir lesen Biografien ehemaliger Gefängnisinsassen, stehen inmitten einer Zelle, sehen Tennisbälle, in denen Drogen versteckt wurden, Waffen die gebastelt wurden und Fotos, die an die Nieren gehen.

Nach ein, zwei (unvollendeten) Shoppingversuchen erneuter Cafe Cortado plus „Alfajor Artesanal“ in der Bar Federal. Das „Alfajor“ ist ein besonderer Süßigkeitenhappen, ein bisschen wie das perfektionierte Yes-Törtchen. Handgefertigt, aus weißer Schokolade oder dunkler, mit Creme de Dulce-Füllung oder Biskuit, auf jeden Fall immer lecker.

Wir beenden den Tag im wundervollen Innenhof des Hotels Querencia (54 Dollar), quatschen mit dem französischen Besitzer Jan und hören die gesamte Restaurations-Geschichte. Wir bewohnen eines von vier Häuschen im Haus. Die Wände des Patios sind Pfirsichfarben gestrichen, die Holzläden himmelblau, Kletterpflanzen winden sich ihren Weg entlang der Mauer. Ein Genuss hier zu sitzen und zu wohnen! (Echter Geheimtipp! Ein Highlight an Hostel, erst der große Patio, dann die zweistöckigen Häuschen mit freiliegenden Backsteinen, a la Provence- duftenden Handtüchern, gestärkten und handbestickten Bettlaken, indirekter Beleuchtung, großem Stilbad und und und... ein Interior-Design-Traum!)

Abends gönnen wir uns die argentinische-Muss-Sein-Spezialität Lomo de Bife vom Grill in der empfohlenen Parilla „El Desnivel“ ums Eck. Auch diesmal bekommen wir saftigstes Vorbilds-Tenderloin-Steak für 65 Pesos serviert und sind höchst erfreut!

Buenos Aires III

28.01.2012

Technobus und KomplimentÄrfarben

So schwinden all die wundervollen Tage in dieser einmaligen Stadt dahin, einmal verstreicht die Zeit im Museo de Arte Moderno (San Telmo, 2 Pesos, besonders beeindruckt mich eine Arbeit von Leon Ferrari namens „Biberon con Derechos Humanos“: in eine transparente Baby-Nuckelflasche hat er die Kopie der Menschenrechte eingelegt) sowie „El Grito“, ein schalldichter Glaskasten, in dem ich aufgrund der absoluten Stille mein eigenes Herz pochen höre. Ein andermal tuckern wir per Techno-Bus auf roten Ledersitzen für 1,25 Pesos nach La Boca, das aufgrund seiner bunt bemalten Wellblechhütten weltberühmt wurde.

Zwar sollte man im Arbeiter-Viertel aus Sicherheitsgründen nicht wirklich vom Touri-Pfad abkommen, doch abgesehen von den Häusern (und dem Fußballstadion, in dem Maradona als Junge trainierte) gibt’s zum Trost auch nicht wirklich viel zu sehen. Allerdings ist das bunte El Caminito sensationell, da so andersartig und besonders. Viele Arbeiter kamen zur Zeit des Booms in den 1880er-Jahren hierher und liessen sich am Riachuelos nieder, dem Fluss, der die Stadt von der Provinz trennt. Die spanischen und italienischen Einwanderer arbeiteten zumeist in Schiffswerften und Konservenfabriken oder Lagerhäusern, wo das argentinische Export-Produkt Nr. 1 – Rindfleisch – verarbeitet wurde. Der übrig gebliebene Lack vom Hafen, die glänzende Bootfarbe wurde dann für den neuen Anstrich ihrer Häuser verwendet. Geile Idee, da nicht nur bunt, sondern auch rostfrei!

Per U-Bahn (2,50 Pesos) fahren wir am nächsten Tag zum Puerto Madero, östlich vom Mikrocentro gelegen, geniessen unser Frühstück bei Cafe und Media Lunas mit Creme de Dulce-Füllung in der Sonne, sehen einige Segelboote an uns vorbeituckern. Wir laufen einmal quer über die Puente de la Mujer (eine hübsche, drehbare, weiße Eisenkonstruktion mit Schiffsdielen-Boden), bewundern die moderne Skyline des Hafens und seine avantgardistischen Gebäude und bekommen gute Einblicke in Megaterassen, Nobelrestaurants und Edel-Boutiquen. Ein Schlenker vorbei an der Fragata Sarmiento, einem 85 Meter langen Schiff von 1899, das nun als Museum dient, bringt uns zum Casa Rosada („Christina´s Märchenschloss“, siehe vorheriger Buenos Aires-Bericht) und per Spaziergang laufen wir zurück ins schnuckelige San Telmo.

Buenos AIRES IV

29.01.2012

Buntes Programm im U-Bahn-Theater Und, Ja KLar...Zartes Lomo de Bife

Nach den vier Nächten in San Telmo ziehen wir um nach Palermo. Nein, uns ist nicht plötzlich nach sizilianischen Abenteuern, wir ziehen ins „Glockenbach“ Buenos Aires´.

Das Hostel Mansilla 3935 ist mit 70 Dollar leider nicht unseren Erwartungen entsprechend (müffig, hellhörig, keine Jalousien, dafür Dauerbeleuchtung vor der Milchglastüre – aber zum halben Ausgleich: sensationelles süßes Frühstück mit hausgemachter Bananen-Pfirsich-Marmelade, Erdbeer-Birnen-Creme, Dulce de Leche, Brownies, Biscuits, Alfajores, Keksen, Schlagsahne, Früchten und mehr), doch das Barrio selbst ist sensationell. Im Palermo Soho schlemmen wir uns von einem entzückenden Café zum nächsten, schlürfen uns von einer cool-trashigen Cocktailbar zur anderen, beschließen per Pakt ab Afrika ist dann mal Diät angesagt, doch vorher gehen wir noch in eine Parrilla, was auch sonst. Der erste Tag ist eher lässig, wir besuchen den übersichtlichen Botanischen Garten (Eintritt frei) mit jeder Menge streunender Katzen und den Zoo der Stadt (22 Pesos) mit den größeren Katzen (nein, leider keine Tiger hier, aber dafür Elefanten). Abends geht’s nochmal ins Mikrocentro, nach einem Dulce de Leche-Eis am Plaza San Martin nehmen wir die Subte (U-Bahn) nach „Hause“ und staunen nicht schlecht, was während der nächsten 20 Minuten alles auf unserem Schoß und in unseren Ohrmuscheln landet.

Erste Haltestelle: „Palermo“. Mit uns zusammen steigt der äußerst begabte Gitarrist Pablo samt haarigen Bandkollegen ein und beschallt uns semiprofessionell mit durchdringender Manu-Chao-Musik (gefällt schon mal), beim „Plaza Italia“ wird er vom kleinen Pedro abgewechselt, der mit flinken Fingern innerhalb kürzester Zeit die Knie aller Fahrgäste mit der bunten Stadtlektüre „BA Nuevo“ belegt. Da flattern die Seiten. Nachdem wir kurz darin schmökern, aber beim draufgemalten Preisschild 23 Pesos stutzig werden und das Exemplar wieder auf dem Knie plazieren, macht der Teenie die Runde und sammelt die Hefte ohne Worte wieder ein. Bei „Scalabrini Ortiz“ betritt nun Alternativ-Lucas mit bunter Hippie-Schlaghose die Bühne, jongliert artistisch im schmalen Wagon mit sechs purpurroten Bällen, fängt sie unter johlendem Applaus im Dreadlock-bedeckten Nacken wieder auf und geht mit besticktem Geldsäckchen zum Sammeln herum. Wir erreichen die nächste Haltestelle „Bulnes“ und sind schon gespannt, was uns hier erwartet...leider Trauriges: der 17-jährige zerzauste Joaquin humpelt mit selbstgebastelten Krücken durch die automatischen Türen, guckt uns aus braunen, leicht trüb-entzündeten Augen an und legt uns kleine handgeschriebene Zettelchen in den Schoß:

„En este momento soy triste, porque en este momento no tengo nada. No tengo dinero, no tengo salud, no tengo padres...“ („In diesem Moment bin ich traurig, denn in diesem Moment habe ich nichts. Ich habe kein Geld, keine Gesundheit, keine Eltern. Ich habe keine Ausbildung und es gibt keinen, der sich um mich kümmert. Bitte spenden Sie mir ein wenig Geld, damit ich an diesem Abend etwas zu essen habe...“). Es bricht mir das Herz, dieses kleine graue Papierchen mit den wackeligen Buchstaben auf dem Knie zu haben. Ich denke an all die vielen Obdachlosen, die wir hier täglich auf den Straßen sehen: ganze Familien leben auf Bordsteinen, haben ihr Wohnzimmer auf dem Asphalt eingerichtet, Nippes ausgebreitet, Matratze und Fernseher (!) an die Rohwand gestellt, andere sind nur knapp mit zerfetzten Plastiktüten bedeckt. Auf Kartons kauern die Mütter schützend über ihren Babies. Das macht mich so traurig! Joaquin verlässt die U-Bahn und hereingestürzt kommt der 30-jährige Carlos mit einem Stapel voll Cd´s - die direkt auf unseren Schößen zum Durchgucken landen - und laufender Stereoanlage. Im Schnelldurchlauf drückt er gehetzt den Beispiel-Tonträger durch, und an der „Faculdad de Medicina“ sind wir nun zwar im Bilde über Carlo´s Sortiment doch erleiden auch gerade den gemeinschaftlichen Hörsturz.

Beim „Tribunales“-Halt gibt’s nochmal Live-Mukke auf die Ohren, anschließend einen Stapel raubkopierter DVD´s und kurz nach dem Obelisk steigen wir äußerst bereichert an der „Catedral“ wieder aus. Wir genießen bei der Parrilla „El Gaucho“, wie schon vor zwei Monaten das für uns leckerste Stück Rindfleisch ever (siehe erster Bericht vom November), die Geschmacksknospen erblühen, wir sind befriedigt und beglückt und wackeln nach Malbec, Provolone und Flan erheitert zurück ins Hostel.

Buenos Aires V

30.01.2012

BlÜhende Blechblume, Ostgarten und die prachtvollste Buchhandlung aller Zeiten

Ein Blick hoch in den Himmel verheißt heute nichts Gutes: bleiern grau und schwer liegen die dicken Wolken über unserem Patio. Nach dem dulcissima Desayuno (sehr süßen Frühstückchen) wandern wir trotzdem guten Mutes erst über Kopfsteinpflaster dann über Gras hin zum Japanischen Garten.

Zwar haben wir ihn letztes Mal schon besucht, doch mit 16 Pesos Eintritt möchten wir noch einmal Zen-Kraft tanken, uns am Rot-Rund-Brückchen und den fetten Koi´s erfreuen und weißen Tee schlürfen. Gerade als wir uns auf dem Holzbänkchen niederlassen, grollt es schon und gleich darauf prasselt der Regen los. Nach einer guten Stunde geht’s weiter Richtung Floralis Generica im Parque Thays (hinter dem Museo de Bellas Artes) in Recoleta (alles gut per Fuß von unserem Hostel in Palermo erreichbar). Die überdimensionale Blechblume, vom Architekten Eduardo Catalano erschaffen, verhält sich wie eine echte Blüte. Die Metallblätter aus 18 Tonnen Aluminum und rostfreiem Stahl öffnen sich wie von Zauberhand bei Sonnenaufgang und schließen sich automatisch bei Einbruch der Nacht!

Begeistert vom Kunstwerk verharren wir einige Schweigeminuten davor und laufen dann grob Richtung Innenstadt, gucken kurz im Museo de Arte Decorativo vorbei (Eintritt gratis), um die wohl schönste Buchhandlung aller Zeiten zu genießen! Zwar habe ich noch nie vom „El Ateneo“ gehört, doch das ist eine Schande! In keinem Lonely Planet ist das ehemalige Theater verzeichnet, noch nicht mal in der City-Karte ist es ausgezeichnet...doch jeder, wirklich jeder, der die Stadt besucht, sollte sich hier einmal überfluten lassen von all der Herrlichkeit und in sentimentaler Vergangenheitsverklärung baden!

Einmalig und großartig sind nur zwei Worte, die mir auf der hingerissenen Zunge liegen, wenn ich an daran denke. Usprünglich 1919 als Theater „zur Welt“ gekommen, durchlebt das Gebäude in den späten 1920er Jahren eine Transformation zum Kino, um 2000 seine endgültige Form als heutige Luxus-Buchhandlung anzunehmen. Das Theater hatte eine Kapazität für 1050 Zuschauer, später wurden hier die allerersten Tonfilme Argentiniens gezeigt.

Heute finden sich in den ehemaligen Logen bequeme Samtsessel zum schmökern, auf der einstigen Bühne ist ein Cafe untergebracht. Während ich an meinem Cafe Machiato nippe, laabt sich mein Geist an den fantastischen Formen um mich herum, architektonische Details aus der Theater-und Kinoepoche verzücken meine Pupillen, Stuckarbeiten im dreistöckigen klassischen Design, die indirekte Beleuchtung und die schimmernden Goldtöne, antiquierte Holzschnitzereien, sandfarbene Marmorsäulen und grandiose Deckenmalereien versetzen mich in eine andere Welt, die sanfte Musik im Hintergrund verzaubert mich und ich schwelge in absoluter Nostalgie. Volle Kanne Retro-Badewanne!

Buenos Aires VI

30.01.2012

Call Again!

„Call Again! Call Again! Call Again!“, ich schreie mir die Kehle aus dem Hals und höre neben mir ein anfeuernd-krächzendes „Lucky Idea“! Ich stehe auf der Tribüne des Hippodromo de Palermo und starre begeistert auf die Pferderennbahn. Dreizehn wunderschöne Stuten galoppieren, was die edlen Rennpferdbeine hergeben.

Der Eintritt ist gratis, doch das Ambiente unbezahlbar. Die reichen Herrschaften begeben sich in die Logdes (aber wo sind die Hüte!?), das Fußvolk (wir) gehen erstmal zu den Boxen, atmen den herrlichen Stallgeruch ein, sehen die Pferde nervös trippeln oder relaxt dösen, die Jockeys wärmen sich auf, kreisen Hüften und Arme, mancher Besitzer tätschelt seinem Goldesel ein letztes Mal den Hals und macht sich mitsamt der Folgschaft auf in den VIP-Bereich. Wir stellen uns am grünen Wettschalter an und setzen guten Mutes auf „Call Again“. Die Stute sieht so süß aus, dass ich mich sofort in sie verliebe. Ausserdem hat sie mir zugezwinkert! Und auch wenn Georg meint „Die is mir jetzt aber ein bisschen zu entspannt, guck´ mal, die anderen lassen die Muskeln spielen, drehen die Augen, tänzeln, trippeln und schlagen nach hinten aus. Und, ich will ja nichts sagen, aber „Call Again“ sieht doch irgendwie schlaff aus. Also jetzt so im Vergleich...“ - „Aber Schatz!“, entgegne ich entrüstet „das kannst du doch nicht sagen, die ist halt einfach lässig, ruhig, locker, sagen wir ruhig nonchalant. Schlicht unverkrampft. Sie weiß halt, was sie kann. Ich setz´ auf sie, auf jeden Fall!“.

Gesagt, getan, mit 30 Pesos haue ich da auch in die Vollen und halte nun selber minimalistisch verkrampft meinen kleinen weissen Wettschein in der Hand. Am Eingang gab´s Broschüren mit Informationen über Herkunft, Rennsiege, Namen der Jockeys und Besitzer, sowie Zeiten der Rennen. Die meisten davon finden Montags statt, manche Wochenenden im Sommer sind jedoch auch besonderen hochdotierten Preisrennen vorbehalten.

Die Glocke ertönt, per Riesen-Anzeigewand sehen wir wie „Call Again“, „Lucky Idea“, „Pauchita“, „LocoListo“ und die anderen vier Pferde in die grüne Startbox geklemmt werden, wir setzen uns auf die Marmorstufen, kurz darauf gehen die weißen Türchen auf und das Rennen beginnt. Nun wird’s unruhig auf der Tribüne, neben mir wird ein Alter ganz grau im Gesicht, die Dame rechts johlt „Pauchita“, Wettscheine werden hektisch umklammert, Namen gerufen, nein gekreischt, immer lauter tönen die Stimmen, immer nervöser die Mimik, je näher das Hufgetrappel zu hören ist. Hinter mir brüllt einer „Lucky Idea! Lucky! Lucky!“, wird übertönt von „LocoListo!!!“ und als mir die Lady nochmals „Pauchita“ ins Ohr grölt, schmettere ich „Call Again!“ in die Luft. Da kommt ein leises „What´s your number?“ rechts von mir, ich schaue auf die Liste und kann mit ein Grinsen nicht verkneifen. Ist natürlich kein Pferd mit diesem Namen am Start, mein Sitznachbar hatte einfach eine witzige Idee. „She´s Mine“ ruft Georg in diesem Moment von der anderen Seite und wir alle müssen laut losprusten, bevor wir uns wieder auf das Spielfeld, äh die Rennbahn konzentrieren.

Laut schnaufend und hufklappernd galoppiert die Jogginggemeinde nun an die Ziellinie, schlappe 1,20 Minuten waren´s für die 1200 Meter - ich halte den Atem an...nein, leider nein. „Call Again“ ergattert nur den vorletzten Platz und ich nehme teil an der allgemeinen Wettschein-Zerreisserei! So richtig schön in kleine Fetzelchen, mit ordentlich wütendem „Puta Madre!“- Gestöhne dabei.

Im nächsten Rennen gibt’s den Rappen „Free Live“- Hey! Das ist doch ein Zeichen...

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